Der Himmel über Kasakstan
»Das wäre schön, Svetlana. Ich warte auf dich. Ich bin im Wald bei Undutowa! Vielleicht lege ich dir den Bären zu Füßen!«
Er winkte ihr zu, übermütig wie ein Junge, und gab dem Pferd die Sporen. Es bäumte sich auf und galoppierte durch das breite Tor der Datscha. Bellend, fast heulend, folgten die Bluthunde … ihre langen Ketten, mit denen sie an den Sattel gefesselt waren, klirrten dazu.
Svetlana sah ihm nach, bis er hinter den Bäumen verschwand. Ein Wort nur, und er ist glücklich …
Sie blickte hinüber zu Fedja, dem Knecht, der das Pferd gebracht hatte. Er stand im Schatten einer großen Tanne und hatte die Fäuste geballt.
Svetlana wandte sich ab. Wieviel Haß und Lüge ist um uns, dachte sie erschrocken. Es ist wie bei den Wölfen … der Lahme wird von den Gesunden zerrissen.
*
Zwei Stunden später war Svetlana bei der Herde.
Sie weidete südlich von Judomskoje am Rande der Hungersteppe. Weit weg, wie kleine Pilze mit spitzen Hüten, sah sie die Zelte der Kirgisen, die im Sommer zu den fruchtbareren Niederungen des Flusses Tschu zogen, wo das Gras noch fett war und nicht braungelb verbrannt von der Sonne. Ihre kleinen, struppigen Pferde sahen gegen den hellblauen Horizont wie Punkte aus.
Kerek, ein kalmückischer Bauer, der nach 10 Jahren Zwangsarbeit zum Knechtsdienst bei Borkin begnadigt worden war, sah Svetlana verwundert entgegen, als sie mit Borkins Lieblingspferd ›Sokoll‹ (Falke) über die Steppe zu ihm hingeritten kam.
»Die Herde ist in Ordnung«, meldete er. »Wir wollen noch eine Woche draußen bleiben, bis das Gras verbrennt. Nur die Milchabholer, diese Lumpen, sollen früher kommen. Die Kühe schreien, weil sie nicht pünktlich gemolken werden.«
»Ich weiß. Ich werde bei der Herde bleiben.« Svetlana sprang vom Pferd. »Du kannst nach Hause reiten, Kerek.«
»Ist das Befehl von Genosse Borkin?«
»Selbstverständlich ist es ein Befehl!«
Kerek hob die schmalen Schultern und strich sich über seinen dünnen Mongolenbart. Ihm war die Freiheit in der Steppe lieber als der Dienst auf der Datscha, unter den Augen Borkins, der wie zu den Zeiten des Zaren nicht lange sprach, sondern mit der Peitsche regierte. Fedja, der arme Idiot, hatte einmal deswegen bei dem Dorfsowjet Iljitsch Sergejewitsch Konjew eine Beschwerde geführt und gesagt, sie seien freie Menschen und Kommunisten, die man nicht schlagen dürfe. Da hatte Genosse Konjew den dummen Fedja aus dem Hause geohrfeigt. Gegen Borkin war man eben machtlos. Und wer kümmerte sich hier am Rande der Dsungarei um Leute wie Fedja oder Kerek?
Er nahm seine Sachen auf, band sie am Sattel fest, zögerte und legte dann ein großes Schaffell wieder zurück ins Gras.
»Manchmal ist es kalt in der Nacht«, sagte er. »Die Winde vom Gebirge sind noch voll Schnee.«
»Danke, Kerek.«
»Mit Gott, Svetlana!« Er winkte und ritt davon.
»Mit Gott«, sagte sie leise. Es war, als spreche sie ein fremdes Wort aus. Gott. Fast fünf Jahre hatte sie es nicht mehr gehört. Borkin kannte keinen Gott.
Sie setzte sich ins Gras und sah hinauf in die ziehenden Wolken. Dann baute sie ihr Zelt auf, beschwerte die Seiten des Windes wegen mit Steinen und Baumkloben und legte gegen die Windseite den schweren Sattel.
Sie war mit ihrer Arbeit kaum fertig, als sie einen Reiter auf sich zukommen sah. Er war allein … keine Tiere folgten ihm, kein Hund, kein Lastpferd. Ein einzelner Reiter in der Steppe ist verwunderlich … Svetlana trat aus dem Zelt heraus und blickte dem Näherkommenden kritisch entgegen.
Kurz vor Svetlana hielt der Reiter an und drückte dem Pferd mit den Zügeln den Kopf herunter. Es war ein herrliches Pferd mit einem Fell wie aus goldschimmernder Bronze, bernsteinfarbigen Augen und Muskeln, die unter dem straffen Fell hervorquollen wie dicke Stränge.
»Hast du zehn Hammel gesehen?« rief der Reiter zu Svetlana herab.
»Nein …«
»Sie müssen hier vorbeigekommen sein! Sie sind ausgebrochen! Sicherlich hast du geschlafen!«
Das Pferd, dachte Svetlana. Dieses Pferd … Aus dem Dunkel der Erinnerungen, aus dem Nebel vergangener Fernen stieg ein Bild vor ihr auf … Ein großer, starker Mann auf einem fast goldenen Pferd, der seine Herde heimtreibt in ein kleines Dorf, in dem jedes Haus seinen Garten hat, seinen Brunnen, seine sauberen Fenster und Türen und eine stolowaja, in deren hinteren Doppelwand ein Christus mit ausgebreiteten Armen versteckt war.
»Was starrst du mich so an?« rief der Reiter. Er gab dem Pferd den
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