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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ihren Rücken abzutrocknen. Sie begriff plötzlich seine Worte: »In der Natur ist alles Knospe. Durch die Liebe von Sonne und Tau wird sie zur Blüte …« Sie verstand mit panischem Erschrecken, warum Borkin sie aus dem bisherigen Zimmer weggenommen hatte und ihr einen Schlafraum in der Nähe seiner Zimmer gegeben hatte.
    Erschöpft schlief sie bis zum späten Morgen. Als sie vorsichtig die Kiste von dem Falltürdeckel wegschob und die Klappe hochhob, war es noch immer, als schlafe das Haus. Sie ließ sich heruntergleiten und schlich sich auf ihr Zimmer. Dort wusch sie sich, zog das Festkleid aus und schlüpfte in die plumpen Stiefel, den Leinenrock und die Wollbluse, die sie beim Herdenhüten auf der Steppe trug, band sich den alten Wollschal um die goldgelben Locken und ging, die Reitpeitsche in der Hand, hinüber zu dem Zimmer mit der großen Glasecke.
    Ich werde ihn mit der Peitsche schlagen, wenn er mich anfaßt, dachte sie. Ich werde schlagen … schlagen … Aber sie zitterte doch vor Angst, als sie schon von weitem den Rumgeruch spürte, der ihr entgegenwehte.
    Borkin saß im Zimmer. Er trank Tee mit Rum und aß ein Stück Schwarzbrot mit frischem Quark.
    Als Svetlana eintrat, sah er auf und lächelte. Sein Gesicht war blaß, zerfurcht, älter geworden in dieser Nacht. Aber er lächelte, zeigte auf den freien Korbsessel am Tisch und nickte ihr zu.
    »Ich wartete auf dich mit dem Frühstück, Svetlana. Du hast lange geschlafen.«
    Svetlana nickte. Ein Würgen im Hals drosselte die Worte ab, die sie sagen wollte.
    »Ja, djadja«, brachte sie stockend hervor.
    »Komm, setz dich.«
    »Ja, djadja.«
    Sie setzte sich wie ein gehorsames Kind und faltete die Hände im Schoß. Aber zwischen den gefalteten Händen hielt sie den Knauf der Reitpeitsche.
    Iwan Kasiewitsch Borkin ergriff die Teekanne. Er hatte sie vom Samowar aus mit Tee gefüllt. Honig, Weißbrot, frische Butter, sogar alter, fast schwarzer, im Rauch getrockneter Schinken lagen auf dem Tisch.
    »Willst du Tee, Svetlana? Oder soll ich dir einen Fruchtsaft bringen lassen?!« Er beugte sich über den Tisch vor. »Du bist blaß, moj ljubimez.« (Mein Liebling) Er ergriff ein Messer und nahm Weißbrot, Butter und Honig. »Ich mache dir ein Brot. Mit Honig, ja?«
    »Ja, djadja …«
    »Wir wollen nachher in den Wald reiten. Fedja meldete, er habe einen Bären gesehen! Das wäre etwas Schönes, Svetlana. Bären sind selten in Judomskoje. Sie leben sonst mehr nach Alma-Ata hin an der Grenze zur Dsungarei.« Er redete und redete und schmierte dabei das Brot, strich Honig darüber, schob es Svetlana hin, süßte den Tee mit Honig und schöpfte die Sahne von der fetten Milch, die in einem großen irdenen Topf neben ihm auf einem Hocker stand.
    Svetlana schwieg. Sie aß nicht, sie trank nicht … sie sah mit ihren großen blauen Augen Borkin stumm an und begriff nicht, was sie hörte und sah.
    »Du hast keinen Hunger …«, sagte Borkin stockend. Als er den Blick Svetlanas sah, senkte er den Kopf und starrte auf seine Hände. »Reiten wir in den Wald«, sagte er leise.
    »Ich möchte lieber auf die Weiden zu der Herde, djadja.«
    »Wie du willst, moj ljubimez.«
    »Ich werde mit ihnen draußen bleiben. Die Nächte sind jetzt warm.«
    »Fedja wird dir ein Zelt mitgeben.«
    Borkin erhob sich. Er bezwang sich, nicht die Hand auszustrecken und die goldenen Haare Svetlanas zu streicheln. Er sah unter der dünnen Wollbluse die Umrisse ihrer Brust. Brüsk wandte er sich ab und stampfte aus dem Zimmer.
    Svetlana sah durch das Fenster, wie er über die Veranda ging, hinunter zu den blutgierigen Hunden. Unter seinen Händen duckten sie sich … er streichelte sie, band sie an langen Ketten an und schrie über den Platz nach Fedja und seinem Pferd.
    Er schämt sich, dachte Svetlana. Er war betrunken … vielleicht weiß er gar nicht, was er gestern getan hat? Sie empfand plötzliches Mitleid mit ihm, wie er so allein auf dem Hof seiner Datscha stand, die Bluthunde wie Sklaven hechelnd neben sich, umgeben von Angst und Haß … ein einsamer Mann, den zwei Dinge zu dem gemacht hatten, was er jetzt war: Sein Roman über Stalin und das dadurch begründete Wohlwollen des Gottes im Kreml.
    Sie lief hinaus auf die Veranda und beugte sich über das hölzerne Geländer.
    »Djadja!« rief sie laut. Borkin, der gerade die Fußspitze in den Steigbügel steckte, drehte sich herum.
    »Ja?«
    »Wo reitest du hin? Vielleicht komme ich nach.«
    Ein Leuchten zog über sein fahles Gesicht.

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