Der Himmel über Kasakstan
Geheimschreiben.« Konjews Augen glommen. »Er soll im Sterben liegen. Malenkow und Chruschtschow sitzen an seinem Bett. Es wird sich vielleicht vieles ändern, Genosse …«
Borkin ließ Konjew sitzen und ging hinaus zu den Gästen.
Stalin schwer erkrankt … und die Geier sitzen an seinem Bett und warten auf das Aas.
Er sah Svetlana tanzen. Ihre goldenen Haare flatterten durch den Schein der Öllampen und des großen offenen Feuers. Sie lachte, sie war glücklich, sie bog den schlanken Leib, und ihre Füße traten im Rhythmus das Gras, als ein Bursche vor ihr einen Krakowiak tanzte.
»Schafft allen Wein aus dem Keller herauf!« schrie er zwei entlassene Sträflinge an, die bei ihm als Knechte arbeiteten. »Verteilt ihn! Sauft euch voll!«
Auch Borkin betrank sich. Es war grauenhaft, wieviel er in sich hineinschüttete.
Um ein Uhr morgens jagte er alle Gäste von der Datscha. Es war ein Wunder, daß er sie nicht hinausprügelte. Schwankend, mit glasigen Augen stand er dann vor Svetlana, die müde vom Tanzen und Lachen ihm den Gutenacht-Kuß geben wollte.
»Schlaf deinen Rausch aus, djadja«, sagte sie fröhlich. »Es war ein schöner Abend …«
»Svetlanaschka …«
Borkins Stimme riß sie herum. Es war das erstemal in 4 Jahren, daß er diesen Kosenamen aussprach.
»Ja, djadja?«
»Ich liebe dich …« Seine Stimme war heiser.
»Ich weiß es, djadja.« Sie lächelte. »Nun leg dich hin.«
Borkin kam auf sie zu, langsam, gleitend, mit hängenden Armen, aber sich bewegenden Fingern.
»Man hat es in Moskau abgelehnt, daß du meine Tochter wirst«, sagte er. »Aber ich gebe dich nicht her. Ich vergehe wie eine Blüte ohne Sonne, wenn ich dich nicht mehr sehe.« Er stand vor ihr. In seinen Augen flimmerte es auf, als kristallisierten sie. »Du kannst nicht meine Tochter sein … aber du wirst meine Geliebte werden …«
»Djadja …« Svetlanas Mund zitterte. Aber sie konnte nicht weitersprechen. Borkins Hände schnellten zu ihr hin, ergriffen das leichte Kleid und zerfetzten es über der Brust. Mit gierigen Fingern griff er zu, riß ihr den Stoff vom Körper … »Djadja!« schrie sie noch einmal.
Dann stieß sie ihren Kopf gegen sein Gesicht, sie schnellte von ihm weg, tauchte unter seinen Armen durch und rannte aus dem Zimmer. Beim Laufen raffte sie das zerrissene Kleid zusammen und flüchtete über eine Stiege am Ende des langen Hauses auf den Oberboden, dessen Falltüre sie zuschlug und eine Kiste darüberschob. Zitternd kroch sie in die fernste Ecke und hockte sich auf ein Bündel Lumpen.
Unter sich hörte sie Borkin schreien.
Er brüllte ihren Namen und tappte wie ein angeschossener Bär durch das Haus.
Svetlana drückte sich gegen das schräge Holzdach und verhielt den Atem. Das Schreien trieb ihr ein Frieren über den Körper.
»Svetlana!« brüllte er. »Komm her, du Hündin! Komm sofort her, du Aasgeburt! Wo hast du dich verkrochen?! Ich stecke das Haus an und räuchere dich aus! Ich … ich … Svetlana! Svetlanaschka!«
Sein Gebrüll entfernte sich. Sie hörte Türen schlagen, irgendwo kreischte eine Frauenstimme laut auf und ging in ein Wimmern über. Es war, als habe Borkin seine Lederpeitsche in der Hand und schlüge mit ihr auf sein Gesinde ein. Dann war es still im Haus.
Zusammengekauert saß Svetlana in den Lumpen unter der Dachschräge und wartete auf das Prasseln der Flammen. Sie kannte Borkin so gut, daß sie ihm zutraute, das Haus anzustecken, auch wenn er dafür wegen Sabotage nach Sibirien verschickt werden würde. Sie kannte seine Wildheit und seinen Jähzorn, und sie betrachtete ihn manchmal wie ein großes, unlösbares Rätsel, wenn dieser gleiche Borkin von einer Weichheit und Zärtlichkeit war, von einer geradezu grandiosen Güte, wie sie ein Vater nicht reicher ausgeben konnte.
Sie wartete fast zwei Stunden auf die Flammen und auf die Hitze, die durch den Holzboden zu ihr nach oben dringen mußte. Dann schlief sie ein. Übermüdet von der Geburtstagsfeier, zerschlagen von dem grausamen Erlebnis und erschüttert von der Erkenntnis, daß sie für Iwan Kasiewitsch Borkin nicht mehr ein Kind, sondern eine Frau geworden war, die er begehrte.
Gedanken, Erlebnisse, Reden, Worte, Ansichten kamen ihr in das Gedächtnis zurück. Jetzt verstand sie, warum Borkin sie mitgenommen hatte nach Judomskoje zu einem Bauern, dessen Stute von einem Hengst besprungen wurde. Sie verstand plötzlich, warum Borkin immer am Teich auftauchte, wenn sie badete, und es sich nicht nehmen ließ,
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