Der Himmel über Kasakstan
von Undutowa zu kommen.
Bis in die späte Nacht hinein wartete Borkin am Waldrand auf Svetlana, vor sich den mächtigen Leib des erlegten Bären, den er ihr zu Füßen legen wollte.
*
»Das ist alles sehr dumm, Genosse«, sagte Stephan Tschetwergow, der Distriktsowjet aus Alma-Ata. Er saß bei Borkin in dem großen Zimmer mit der Glasecke und rauchte eine gute chinesische Papyrossi.
»Bedenken Sie, daß seit Ihrem letzten Buch fast zwei Jahre vergangen sind. Die Partei will etwas sehen! Jeder Ruhm setzt Rost an, wenn er nicht ab und zu geputzt wird.«
»Wollen Sie mir das Putzmittel liefern, Genosse Tschetwergow?«
»Ich bin nur bei Ihnen, um Ihnen zu sagen, daß in Moskau nicht alles mehr so ist, wie vor zwei Jahren.« Tschetwergows Asiatenaugen blinzelten. Sie beobachteten Borkin aus den Winkeln heraus. Borkin nickte und steckte sich eine Pfeife mit starkem, gelben Tabak an, den ihm ein Freund aus der Mongolei schickte.
»Sie sind ein Menschenfreund, Genosse.«
»Sie spotten, Genosse Iwan Kasiewitsch.«
»Ich bewundere Sie, Tschetwergow. Sie sind wie ein Wetterhahn auf den altmodischen europäischen Kirchen: Sie drehen sich mit dem Wind.«
»Der Wind in Rußland kommt immer von Moskau«, sagte Tschetwergow verschlossen.
»Nur die Windmacher sind andere, das wollten Sie doch sagen?«
»Sie sprechen etwas aus, was ich nicht zu denken wagte. Sie denken reaktionär, Genosse Borkin.«
»Oho!« Borkin ließ die Pfeife sinken und legte sie auf den Tisch. Er sah Tschetwergow voll an. »Nach Ihren Reden muß Stalin bereits tot sein.«
»Er ist ein alter Mann, der lächelt, wenn die Kamera auf ihn schaut, und der glücklich ist, wenn er allein gelassen wird. Auch Helden lösen sich auf, Genosse Borkin. Wir alle sind aus dem Stoff gemacht, der auch einmal verfault.«
Borkin erhob sich und trat an das Fenster. Er sah hinaus auf den Hof seiner Datscha. Kerek schor einige Schafe, Fedja beschnitt die Rosen vor der Eingangstreppe, die zu wild und üppig über die Stufen wucherten. Vom Wald her, vom See, kam Svetlana. Sie hatte wieder gebadet. Ihr nasses, blondes Haar lag um ihren schmalen Kopf wie ein goldener Schal. Borkin lächelte vor sich hin.
»Was wollen Sie eigentlich von mir, Tschetwergow? Soll ich Angst vor der Zukunft bekommen? Dazu sind Sie ein viel zu idiotischer Bursche, um die Intelligenz zu haben, mir Angst einzujagen.«
Stephan Tschetwergow kniff die dünnen Lippen zusammen. Sein breites Mongolengesicht verlor das ewige Lächeln. Er wirkte wie ein Affe, den man mit einem Stock geärgert hatte.
»Sie haben Iljitsch Sergejewitsch Konjew beleidigt! Sie haben gute Sowjetbürger und Jungkomsomolzen gezwungen, sich bei diesem deutschen Mädchen zu entschuldigen für etwas, was sie aus vaterländischer Begeisterung getan haben!«
»Zeigt sich neuerdings ein Kommunist darin, daß er Schafe verjagt?«
Tschetwergow sprang auf. Er umklammerte die Tischplatte.
»Borkin!«
»Liegt Ihnen diese Sache immer noch im Magen?«
»Konjew kann nicht mehr schlafen!«
»Ich weiß ein gutes Mittel dagegen: Arbeiten!«
»Sie sollten das auch mit diesem deutschen Mädchen machen.«
»Was wollen Sie von Svetlana?!« Borkin fuhr herum. Aha, dachte Tschetwergow. Darin treffe ich ihn! So ist das, lieber Freund. Aus Kindern werden Erwachsene. Sein breites Grinsen überzog wieder das Gesicht. Er lehnte mit dem Rücken gegen die Wand und rieb die Fingerspitzen seiner Hände aneinander.
»Es geht das Gerücht, Genosse Borkin, daß Sie diese Svetlana besser behandeln als Ihre Landsleute.«
»Es ist kein Gerücht!«
»Ach.«
»Ich betrachte sie als meine Tochter.«
»Die Adoptierung ist Ihnen verboten worden. Dieses Mädchen ist Angehörige eines Volkes, das namenloses Unglück über unser Mütterchen Rußland gebracht hat …«
»Werden Sie nicht lyrisch, Tschetwergow. Das steht Ihnen nicht«, unterbrach ihn Borkin.
»Sie haben sie zu behandeln wie einen katorshnik!« (Sträfling)
»Ich behandle in meinem Haus jeden so, wie es mir paßt. Merken Sie sich das, Tschetwergow. Und wenn ich jetzt Lust verspüre, rufe ich meine Hunde herein und lasse Sie einen Weltrekord im Langstreckenlauf rennen!«
»Ich warne Sie, Borkin.«
»Dazu sind Sie ja gekommen. Sie reden von Rost und meinem Blut. Sie sind ein schmieriger Kerl, Genosse. Aber wären Sie es nicht, würden Sie nicht das sein, was Sie sind.«
»Das ist eine Beleidigung der Partei!« schrie Tschetwergow.
»Es hört sie niemand.«
»Ich!«
»Sie sind ein
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