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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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bei Boris' Eintritt in das Haus aus ihnen geschrien hatte.
    »Du hast recht«, sagte sie. Ihre Stimme war leiser und etwas rauher als vorhin. »Man hat sie geschändet.«
    »Ich bringe ihn um!« schrie Boris auf. Natascha hob die Hand.
    »Psst! Weck sie nicht auf, du Bär! Wer wird denn gleich morden, nur weil ein Mädchen zur Frau wird.«
    »Ich liebe sie, Natascha Trimofa! Irgend jemand hat mir einen Teil meines Lebens genommen … den schönsten Teil!«
    »Red nicht so geschwollen!« Natascha Trimofa trocknete sich die Hände an einem alten Handtuch ab. »Irgend jemand war schneller als du. Das ist alles. Er ist dir zuvorgekommen. Er hat genommen, was du gerne nehmen wolltest.«
    »Wie können Sie so etwas sagen, Natascha Trimofa?« sagte Boris bitter.
    »Und jetzt, wo es geschehen ist, jetzt liebst du sie nicht mehr, was?« Die Ärztin trat neben den Tisch und deckte den nackten Leib Svetlanas mit einem Zipfel der Tischdecke zu. »Jetzt lieferst du sie bei mir ab und gehst zurück nach Undutowa.«
    Boris schüttelte den Kopf. »Es ist furchtbar«, stammelte er.
    »Es gibt Furchtbareres. Wie heißt du?«
    »Boris Horn.«
    »Sei froh, daß sie lebt.« Natascha Trimofa sah Boris auffordernd an. »Na, worauf wartest du noch? Geh zurück nach Undutowa. Ich werde morgen früh das Mädchen schon abliefern. Wer ist's?«
    »Erna-Svetlana Bergner. Sie wohnt bei Iwan Kasiewitsch Borkin.«
    Der schlanke Körper Nataschas fuhr herum, als habe er einen Schlag erhalten. Sie riß ihre schwarzen Augen auf.
    »Wo?!«
    »Bei dem Dichter Borkin!«
    »Dort wohnt sie?«
    »Sie nennt ihn djadja. Er will sie sogar adoptieren. Aber Moskau erlaubt es nicht, weil sie eine Deutsche ist. Außerdem wollte Svetlana weg, nach Alma-Ata.«
    »Weg von Borkin? Warum?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Sie hat nie darüber mit dir gesprochen?«
    »Nein.«
    »Ach.« Natascha Trimofa beugte sich über Svetlana. Ihre Hand glitt streichelnd über ihr Gesicht und die bloßen Schultern. »Der gute djadja …«, sagt sie leise. Es war soviel Bitterkeit in ihrer Stimme, daß sie die Haut des Gaumens wie Leder werden spürte.
    »Und was willst du nun tun, Boris?«
    »Ich will warten, bis sie aufwacht. Ich will wissen, wer es war! Und dann –« Boris ballte die Fäuste. Das Gesicht Nataschas wurde glatt, ausdruckslos –
    »Es wäre dein Recht, Boris.«
    »Und wenn er ans Ende der Welt flüchtet, ich bekomme ihn, Natascha Trimofa.«
    »So weit wirst du nicht zu suchen brauchen.« Sie zeigte auf eine Tür neben dem Ofen. »Geh ins Nebenzimmer und leg dich hin.«
    »Ich kann jetzt nicht schlafen.«
    »Geh! Ich bleibe bei Svetlana. Ich werde dafür sorgen, daß sie nicht ihr ganzes Leben an diese Stunde denken muß. Dafür brauche ich dich nicht. Geh jetzt – oder ich werfe dich hinaus!«
    Gehorsam erhob sich Boris. Er blickte noch einmal auf Erna-Svetlana. Über ihr Gesicht glitt der Schein der Petroleumlampe. Sie sah aus wie eine Leiche. Nur das leise Zittern der Brüste verriet, daß sie lebte. Boris schluckte. Tränen quollen aus seinen Augenwinkeln.
    »Svetlana –«, stammelte er. Natascha Trimofa faßte seinen Rockarm und zog ihn vom Tisch weg.
    »Vom Jammern wird es nicht besser! Schlaf und stärke dich, Boris. Rache verbraucht Kraft. Ich weiß das, weil ich sie nie gehabt habe.«
    Sie trat an einen weißlackierten Schrank heran und öffnete ihn. Auf einigen weißen Servietten lag eine Reihe blitzender, ärztlicher Instrumente. Zangen, Pinzetten, Scheren, Schaufeln, Skalpelle, Arterienklammern, Nadeln, scharfe Löffel, Geburtszangen, gebogene Hohlnadeln, Schienen, Kanülen, Infusionskörper … Instrumente einer großen Arztpraxis, von denen Natascha die wenigsten Dinge gebraucht hatte.
    Der Schritt Boris' blieb wie gelähmt stehen, als er die blitzenden Instrumente sah. Sein Gesicht wurde bleich. Kalter Schweiß stürzte aus seinen Poren und rann über seine Stirn und die starren Augen.
    »Was wollen Sie mit Svetlana tun, Natascha Trimofa?«
    »Das geht dich nichts an!«
    »Sie werden ihr doch nicht weh tun?«
    »Nicht weher als das, was sie erlebt hat.«
    »Natascha Trimofa –«
    »Raus mit dir!«
    Als sich die Tür hinter Boris geschlossen hatte, schob Natascha Trimofa auch hier den Riegel vor. Boris, der sich auf das aufgeschlagene Bett setzte, hörte es und senkte den Kopf. Er faltete die Hände und schloß die Augen.
    Er betete. Er dachte an den Pfarrer der kleinen Hügelkirche im Warthegau zwischen Neuenaue und Kraftfeld, den man an die Tür seiner

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