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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kirche genagelt hatte, lebendigen Leibes und viehisch entmannt. O Gott, mein Gott, betete er stumm. Gib ein Zeichen, daß du lebst –
    Durch die Ritzen der Tür hörte er das Klirren der Instrumente. Da drückte er die Hände gegen die Ohren und ließ sich in die Decken des Bettes fallen.
    So schlief er ein, überwältigt von der Erschöpfung.
    Er hörte nicht, wie Svetlana aus ihrer Ohnmacht erwachte und aufschrie, als sie Natascha Trimofa sah, eine übergroße Spritze mit einem Gummiball in der Hand.
    »Ruhig«, sagte Natascha. Ihre Stimme war streichelnd und fast mütterlich. »Es tut nicht weh, Svetlana. Nur ruhig … wir löschen die Vergangenheit aus –«
    *
    Nach zwei Stunden wachte Boris auf.
    Im Nebenraum hörte er die Stimmen von Natascha und Svetlana. Mit einem Satz sprang er an die Tür und rüttelte an ihr wie ein Irrer.
    »Svetla!« rief er. »Svetla! Machen Sie auf, Natascha Trimofa! Lassen Sie mich zu meiner Svetla! Ich trete die Tür ein. Machen Sie auf, Natascha!«
    »Gebärde dich nicht wie ein Idiot!« sagte Natascha, als sie den Riegel wegschob und die Tür aufsprang. Boris prallte gegen sie. Über ihren schmalen Kopf hinweg sah er Svetlana am Tisch sitzen. Sie hatte ein Kleid der Ärztin an und aß einen Teller Kasch.
    »Svetla«, stammelte er. »Sie lebt –«
    »Zum Sterben gehört mehr als das«, sagte Natascha grob. »Meistens beginnt damit erst das Leben.«
    »Wie können Sie so roh sein, Natascha Trimofa?«
    »Komm 'rein und setz dich.«
    Erna-Svetlana hatte sich erhoben, als Boris ins Zimmer trat. Sie lächelte ihn an, aber es war nur ein wehmütiges, weggleitendes Lächeln, ein Lächeln zwischen Hoffnung und Angst, zwischen Trauer und Aufgeben. Es war das Lächeln einer Puppe, denn die Augen waren leer, ausgebrannt, weggeschmolzen mit der verglühten Seele. Boris schauderte zusammen, als er diese Augen sah.
    »Meine Svetla –«, stotterte er.
    Er streckte die Hände nach ihr aus, aber Natascha Trimofa schlug auf sie und schlug sie nieder.
    »Wenn sie Männerhände sieht, muß sie schreien. Begreifst du das nicht, du Bär?!«
    »Es sind doch meine Hände –« Boris schluckte. Wut und Schmerz drückten gegen seinen Hals. Svetlana senkte den Kopf. Dann ging ein Zittern durch ihren Körper, sie warf die Arme empor, und mit einem Aufschrei rannte sie auf Boris zu, stürzte an seine Brust, umklammerte ihn, grub die Nägel ihrer Finger in seinen Rücken und preßte sich an ihn, als wollte sie in seinen Körper hineinkriechen.
    »Halt mich fest, Bor!« schrie sie weinend. »Halt mich ganz fest, Bor! Ganz, ganz fest! Ich will nicht weiterleben! Ich will nicht. Ich will – Bor, Bor, bleib bei mir!«
    Das Gesicht Boris Horns verzerrte sich. Es sah schrecklich aus. Er legte seine Arme um den bebenden Körper Svetlanas, so dicht und fest, daß sie fast verschwand.
    »Wer war es?«
    Sein Blick, der Natascha Trimofa traf, war unmenschlich. Die Ärztin hob die schmalen Schultern.
    »Sie sagt es nicht.« Sie hob die Hand, als Boris etwas sagen wollte. »Frage sie auch nicht. Sie sagt es von selbst. Quäle sie nicht.«
    »Ich bringe sie zurück zu Iwan Kasiewitsch Borkin. Er wird mithelfen, diesen Schuft zu suchen.«
    »Bestimmt wird er das.« Sie sagte es, als wenn man ausspuckt.
    Bei dem Namen Borkins ging ein Zittern durch den Körper Svetlanas. Natascha Trimofa sah es. Ein grausames Lächeln überzog ihre schmalen Lippen.
    »Leg sie nebenan aufs Bett, Boris. Du kannst auf der Ofenbank schlafen.«
    »Und Sie, Natascha?«
    »Ich setze mich zu Svetlana.«
    Der Kopf Erna-Svetlanas fuhr empor. Ihre leeren Augen starrten Boris an.
    »Ich habe Angst, Bor.«
    »Angst wovor?«
    »Vor dem Weiterleben.«
    »Ich bin doch bei dir. Ich halte dich, Svetla.« Er preßte sie wieder an sich. »Immer, immer werde ich bei dir sein.«
    »Du kannst mich nicht schützen.« Svetlanas Kopf wandte sich zu der Ärztin um. In ihren Augen las sie die Wahrheit, die sie nicht aussprechen konnte. »Keiner kann mich schützen. Wir haben kein Recht in diesem Land. Wir sind Zugvögel, die man abschießen kann. Wir sind nichts, gar nichts. Wir dürfen nur sterben.«
    »Dann tun wir auch das gemeinsam!« schrie Boris wild.
    Natascha Trimofa schüttelte den Kopf. »Ihr Kinder!« sagte sie. »Rußland ist nicht das Land, wo man Romeo und Julia verstehen könnte. Ihr bleibt bei mir.«
    »Borkin wird Svetlana suchen.«
    »Ich werde mit ihm sprechen.«
    »Nein!« rief Svetlana.
    »Man wird mich verhaften, wenn ich morgen nicht auf der

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