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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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langen Flur. Ein Fenster knarrte und eine Stimme schrie.
    »Stoij!«
    Nur ein Wort. Und die Hunde schwiegen. Sie krochen in die hintere Ecke des Zwingers und blieben mit starren Augen und hechelndem Atem liegen.
    Das war Iwan Kasiewitsch Borkin … es gab für Boris keinen Zweifel mehr. Er rannte den Flur entlang, bis er die Tür erreicht hatte, unter der er den Lichtschein sah.
    Noch einmal sah er auf das lange Messer in seiner Hand, dann ergriff er die abgewetzte Klinke, drückte sie herunter und betrat das Zimmer.
    *
    Borkin erwachte durch das merkwürdige Gefühl, nicht allein zu sein.
    Er war bei dem Hundegebell aufgesprungen, hatte sein ›stoij‹ aus dem Fenster gebrüllt, war dann zurückgesunken auf sein Bett und sofort wieder eingeschlafen, ohne zu merken, daß das Licht noch brannte. Er war müde, körperlich wie zerschlagen, voll Sehnsucht nach Ruhe und Schlaf. Sussja ist schon weg, war das letzte, was er noch beim Zurücklegen in die Kissen denken konnte. Wie gut, daß sie weg ist. So kann man wenigstens bis in den Morgen hinein schlafen …
    Jetzt wachte er auf und schnellte empor.
    Eine Gestalt stand an seinem Bett. Groß, breit, dunkel gegen das Licht der Lampe, das Borkin ins Gesicht schien.
    Es war nie die Art Borkins gewesen, Angst zu haben. Aber in diesen Sekunden des Zurückfindens in die Wirklichkeit, vor allem in den wenigen Augenblicken des Erkennens, daß die Gestalt vor seinem Bett Boris Horn war, ergriff ihn eine fast panische Angst.
    Er blieb im Bett sitzen. Die Beine wurden ihm so schwach, daß er sie nicht mehr aus dem Bett herausheben konnte.
    »Was willst du?« fragte er laut.
    Sein Blick glitt an der hohen Gestalt Boris' herunter und blieb an der scharfen Schneide des Messers hängen. Er fühlte, wie seine Lippen und sein Gaumen trocken wurden. Wie kann ich Fedja rufen, dachte er. Wie kann ich ans Fenster kommen und um Hilfe rufen?
    Die Stimme Boris' riß ihn von seinen jagenden Gedanken weg. Eine ruhige, gefährlich ruhige und gleichgültige Stimme.
    »Ich soll dich von Svetlana grüßen, Iwan Kasiewitsch.«
    Borkins Atem stockte. Er hat sie bereits gefunden. Oder sie ist zu ihm gelaufen. Er versuchte, Zeit zu gewinnen. Draußen begannen die Hunde wieder zu heulen. Wenn Fedja sie hörte, mußte er endlich aufstehen und nachsehen, was los war. Dieser verdammte Fedja!
    »Danke«, sagte Borkin stockend. »Wie geht es ihr?«
    In Boris zersprang der letzte Widerstand vor seiner Tat. Er trat näher an das Bett heran. Borkin erbleichte. Fedja, betete er im Innern. O Fedja … warum kommst du Hund nicht?!
    »Sie ist bei Natascha Trimofa …«
    »Wo?!« Borkin zuckte hoch. Der Name Natascha Trimofa gab ihm plötzlich seine Glieder wieder. Er sprang aus dem Bett, aber ein Fausthieb Boris' warf ihn zurück an die Wand des Zimmers. Eingeklemmt zwischen einem Schrank und dem geschlossenen Fenster lehnte er gegen die abblätternde Tapete.
    »Bei der Ärztin von Undutowa. Du kennst sie, Iwan Kasiewitsch?«
    »Du hast sie gefunden, Boris?«
    »Ach! Du kennst mich?«
    »Ich habe dich gestern bei Svetlana gesehen. Du hast sie geküßt.«
    Es schrie aus Borkin heraus mit der ganzen Wut, die er bei dem Anblick aufgespeichert hatte. Selbst die kreatürliche Angst fiel von ihm ab. Er wollte sich von der Wand abstemmen, aber das lange Messer war vor ihm. Er wäre in es hineingeschnellt.
    »Schon, daß du sie küssen durftest, ist wert, daß du und sie sterben.«
    Boris starrte Borkin ausdruckslos an. Seelenlos wie die Bilder unserer sowjetischen Staatsmaler, dachte Borkin. Augen, die man von einem Menschen auf einen Schellfisch überpflanzen kann und umgekehrt, ohne daß es einer merkt.
    »Du hast Svetlana zur Hure machen wollen?!«
    Borkin schüttelte den Kopf.
    »Ich wollte sie adoptieren. Aber Moskau verbot es. Da wollte ich sie heiraten. Später … in einem anderen Land.«
    »Du wolltest weg aus Rußland?«
    »Ich wollte nach dem Iran. Dort, am Ufer des Persischen Golfes, wollte ich ein Haus kaufen. Svetlana sollte glücklich werden, glücklicher als jede andere junge Frau. Aber dann kamst du, du Vieh, und hast sie geküßt!«
    Im Zwinger tobten noch immer die Hunde. Fedja kam nicht heraus. Er hatte sich auf die andere Seite gedreht, die Decke über den struppigen Kopf gezogen und schlief weiter. Nur Sussja war wach … sie lag auf dem Strohsack, sah an die Decke und dachte an ihre Liebe zu Borkin. Das Lärmen der Hunde störte sie nicht … Hunde sind immer laut, wenn der Frühling gekommen ist.

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