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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kann.«
    »Wir wollen sehen.«
    Sie wandte sich ab, verriegelte die Tür und zog die Vorhänge dichter vor die Scheiben.
    »Du hast Borkin etwas voraus, Waska«, sagte sie, als sie sich umwandte. »Ich werde dich nicht töten lassen –«
    In der Nacht verschwand Natascha Trimofa. Sie tauchte unter in dem Häusergewirr von Alma-Ata oder in der Weite, die um die Stadt herum lag.
    Major Poltezky wartete mit dem Alarm so lange, bis sie weit genug gekommen war. Dann heulten die Sirenen. Ein Gefangener geflüchtet!
    Das Heulen der Sirene pflanzte sich fort, sprang über von Kontrolle zu Kontrolle und umkreiste die ganze Stadt.
    Suchtrupps durchstreiften mit Hunden die Gegend; Stephan Tschetwergow tobte und schrie, als man ihn aus dem Bett holte und die Flucht der Trimofa meldete.
    Der Zug aber fuhr beim Morgengrauen ab.
    *
    Die beiden einsamen Wochen im Sumpf gingen zu Ende. Svetlana kochte Trockenfisch, und Boris versuchte, mit Schlingen Biber oder Wasserratten zu fangen. Es war eine mühselige Jagd, aber sie schützte vor dem Verhungern.
    An einem frühen Morgen kam Boborykin zurück.
    Er tauchte aus dem dichten Schilfdickicht auf, als Boris Horn gerade seine Angeln ausgelegt hatte, um in den Tümpeln, die zwischen dem Sumpf lagen, einen Fisch zu fangen.
    »Laß die armen Fischlein leben, Bruderherz«, rief Boborykin und schwenkte beide Arme durch die heiße Luft. Er schien fröhlichster Laune zu sein. Über seiner breiten Schulter lag quer ein praller Sack, aber es schien, als spüre er gar nicht das Gewicht. »Ich habe einen ganzen Schinken mitgebracht. Wenn euer Magen und die Gedärme noch nicht vertrocknet sind, wollen wir uns so lange den Wanst vollschlagen, bis wir von der Erde nicht mehr aufstehen können!«
    Er kam näher, tastete sich über den unsichtbaren Laufsteg an die Wohninsel heran und warf den Sack neben Boris auf den Grasboden.
    »Noch böse?« fragte er, als Boris keine Antwort gab. »Daran erkennt man den Deutschen: Ihr könnt schlecht vergessen!«
    »Es waren bittere Wochen, Andreij.« Boris gab ihm die Hand.
    »Das ganze Leben ist bitter. Als Gott den Menschen schuf, vergaß er, in den Teig Zucker hineinzustreuen.« Boborykin sah sich zu der Hütte um. Dünner Rauch stand über dem Dach … da kaum ein Wind wehte, kräuselte er sich fast gerade in den blauen Sommerhimmel. »Ich habe ausgekundschaftet, wie es um euch steht. Konjew glaubt, daß ihr in der Wüste verhungert seid. Tschetwergow, dieser tatarische Hund, glaubt an gar nichts. Er hat Fedja als Mörder vorgeschoben und sich mit Moskau so ausgesöhnt. Und Fedja, dieser Halbaffe, hängt sich selbst auf! Was sagt man zu solcher Idiotie?«
    »Es ist schrecklich.« Boris wandte sich ab. »Das habe ich nicht gewollt.«
    »Nein, fängt er gleich zu heulen an wie ein altes Mütterchen, dem das Süppchen überkocht.« Boborykin schüttelte sich, als käme er aus dem Wasser. »In Rußland geschieht viel, was man nicht will. Wir haben das Wollen abgeschafft, Brüderchen … das ist die größte Tat der roten Revolution. Fragst du ein Gewehr: ›Mein liebes Gewehr, willst du auf das Böcklein schießen?‹ Nein – du legst an und drückst ab! Wir sind wie die Gewehre … hinter uns steht einer und drückt ab.«
    Er lachte über das makabre Wortspiel und wuchtete den Sack wieder auf seine Schulter.
    »Wir wollen fressen, bis wir platzen!« schrie er fröhlich. »Svetlana! Svetlana! Komm her, mein Täubchen! Boborykin ist wieder da. Der gute Andreij. Ein halbes Schweinchen hat er auf dem Rücken! Komm heraus, mein Silberfüchschen!«
    In der Tür erschien Erna-Svetlana. Sie war etwas größer geworden, aber noch dürrer, eingefallener und farbloser. Nur ihre Haare waren das einzige Glänzende an ihr. Als die Sonne darauf fiel, leuchteten sie auf wie poliertes Gold. Ein Schimmer Freude überzog ihr schmales Gesicht mit den großen blauen Augen, als sie Boborykin winken sah.
    »Willkommen«, rief sie ihm entgegen. »Du hast ein Schwein mitgebracht?«
    »Fast ein halbes, Schätzchen! Heiz den Ofen kräftig ein und stecke den Bratspieß in die Gabeln … wir wollen uns satt essen.«
    »Satt! Das Wort kennen wir nicht mehr.«
    »Nichts lernt man schneller als das!« Boborykin warf den Sack auf den rohen Tisch, als er im Hause war, und löste die Kordel, mit der er zugebunden war. Er holte den Schinken hervor, drei Würste, ein großes Stück Salzfleisch vom Schweinenacken und drei Säckchen mit feinem Mehl und Hirse. Auch einige Dosen stellte er auf den

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