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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schweigend umstanden die anderen Waggoninsassen die beiden Frauen … vierzig hohlwangige, hungernde, ausgelaugte Menschen, ohne Hoffnung und ohne Gefühle mehr.
    »Typhus?« fragte Poltezky. Seine Stimme war beherrscht und ruhig.
    »Wenn Sie es schon wissen, Major, dann würde ich nicht herumstehen und zusehen, sondern für Medikamente sorgen.«
    »Wir haben keine!«
    Natascha Trimofa wandte sich um. Sie sah in große schwarze Augen und ein gelbliches Gesicht mit einem schwarzen Schnurrbart. Ein schönes Gesicht, männlich, hart, kantig, vielleicht ein wenig brutal.
    »Der ganze Waggon wird Typhus bekommen, wenn Sie nicht helfen. Der ganze Zug! Und Sie auch Major! Wollen Sie zweihundert Leichen in Karaganda abliefern?«
    »Warum nicht? Wir nehmen den Genossen im Lager nur die Mühe ab«, sagte Poltezky ironisch.
    »Und Ihr eigenes Leben ist Ihnen auch nichts wert? Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der offen sagt, daß er soviel wie eine Null wert ist.«
    Poltezky rückte an seinem Koppel. »Ich werde Ihnen Chlorkalk anliefern. Jeder Waggon wird mit Chlor ausgewaschen und gekalkt.«
    »Totengruben für die Lebenden.«
    »Erwarten Sie mehr von mir?«
    »Nein.« Natascha Trimofa erhob sich von der Fiebernden. Sie ging zum Eingang des Waggons vor und sah auf Poltezky herunter. »Die Zeit, in der Männer sich wie Männer benahmen, ist gestorben. Übriggeblieben ist eine Lebensmechanik, ferngesteuert von einem Mechanisten im Kreml.«
    »Allein schon für diese Worte gehören Sie nach Karaganda.«
    Natascha Trimofa hob die schmalen Schultern. »Ich habe mich auch nicht bei Ihnen darüber beschwert.«
    Major Poltezky winkte. »Kommen Sie mit, Genossin Trimofa.«
    Er merkte nicht, daß er sie Genossin nannte. Nur der Unteroffizier grinste wieder und stützte Natascha sogar, als sie vom Waggon herab auf die Erde sprang. Als sie neben Poltezky stand, war sie zwei Köpfe kleiner als er. Wie ein Schulmädchen wirkte sie, das gleich ihr Händchen in die Hand des großen Mannes schieben mußte, um sich zur Schule bringen zu lassen.
    »Wollen Sie eine Privatkonsultation, Major? Krank geworden bei einem nächtlichen Ausflug durch die Stadt?«
    Poltezky ging neben ihr her. Er sah auf ihre schmalen Schultern herab, auf die kleine Brust, die sich durch die Bluse drückte und auf die schlanken Beine, um die der weite Rock aus grünem Leinen wippte.
    »Für eine Ärztin haben Sie eine schrecklich ordinäre Art, Natascha Trimofa«, sagte er.
    »Man hat sie mir in 4 Jahren Partisanenkrieg und 6 Jahren Landarztpraxis beigebracht. Es gibt Menschen, die nur solche Sprache verstehen. Ich habe fast nur unter ihnen gelebt.« Sie sah zu Major Poltezky hinauf. »Sie waren sicherlich Kadett, Major?«
    »In Moskau. Auf der Kriegsakademie.«
    »Ein von Grund auf ausgebildeter Held! Sie hatten sicherlich ein gutes Abgangszeugnis.«
    »Ein sehr gutes.«
    »So etwas nennt man ›Stütze des Staates‹, nicht wahr? Es ist überall so, wo das Militär herrscht: Das Diplom des vollendeten Tötens berechtigt zum Eintritt in die erste und höchste Gesellschaftsklasse! Wir sind doch ein merkwürdiges Geschlecht, wir Menschen.«
    Major Poltezky schwieg. Stumm gingen sie zu dem Begleitwagen des Transportes und stiegen in das Abteil. Es war ausgeräumt und als Zimmer eingerichtet mit einem Bett, einem Spind, einer alten Porzellanschüssel und Waschkanne, zwei Stühlen und einem kleinen runden Tisch. An den Holzwänden hingen Fotos von Waska Poltezky … einmal als junger Leutnant, einmal bei Verleihung der Tapferkeitsmedaille in Gold, einmal zu Pferde auf einem Waldweg. Auch ein Familienfoto hing an der Wand … Major Poltezky neben einer blonden Frau und zwei blonden Kindern. Zwei Mädchen, lachend, gesund, schelmisch. Ein Tannenzweig war über dem Bild mit einer Heftzwecke an der Wand befestigt.
    »Ihre Frau, die Poltezkaja? Und Ihre Kinder?« fragte Natascha Trimofa.
    Poltezky winkte herrisch ab. »Lassen Sie das!« Er setzte sich auf das Bett und musterte die Ärztin, als wolle er sie kaufen. »Sie sind ein merkwürdiges Mädchen«, sagte er kopfschüttelnd.
    »Weil ich einen Mörder verberge? Für mich ist er ein Held, der meine Seele wiederbrachte.«
    »Was nennen Sie Seele, Natascha?«
    »Vor allem das herrliche Gefühl, lieben zu können.«
    »Haben Sie jemals geliebt?«
    »Einmal. Aber das ist so weit fort wie ein verschwommener Traum. Ich war ein Mädchen von achtzehn Jahren. Als ich die Nachricht bekam, daß er bei Kiew gefallen sei, ging ich

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