Der Himmel über New York (German Edition)
sagte er.
Zwei kleine steile Falten standen ihm zwischen den Augenbrauen. Wahrscheinlich fragte er sich, was »Spätzelchen« hieß. Seine Hand berührte meine nur kurz, statt sie zu drücken. Sie war warm und trocken.
»Finja ist unser Maskottchen«, rief Boris lauthals. »Ich kenne sie schon, seit sie noch so war.« Er hielt die Hand in Hüfthöhe. Dabei kannte er mich höchstens seit zwei Jahren. »Kein Weihnachtsmarkt ohne Finja«, fuhr er fort. »Das musst du wissen, Kalil!« Boris machte sich gar nicht die Mühe, das kehlige Ch auszusprechen. Er machte gleich ein K daraus. Es klang aggressiv.
Chalil lächelte höflich und wich meinem Blick aus. Vermutlich starrte ich ihn viel zu hemmungslos an.
»Es ist ein interessanter Markt«, sagte er dann. »Typisch deutsch.«
»Stuttgart hat den größten Weihnachtsmarkt in Deutschland«, behauptete Boris. »Auch, wenn der Nürnberger Christkindlesmarkt berühmter ist.«
Chalil nickte.
»Aber wenn du nur Kaffee trinkst, Kalil, dann kriegst du nicht das richtige Feeling. Du musst den Glühwein wenigstens mal probieren. Wir sind hier in Deutschland. Da gehört das einfach dazu. Euer Mohammed wird schon nichts dagegen haben.«
Wieder huschte ein Anflug von Ärger über Chalils Gesicht. Er zog die Brauen zusammen wie vorhin, als ich den Scherz über Jesus gemacht hatte. »Wir haben auch guten Wein in Dubai«, sagte er, offenbar darauf bedacht, dem streitlustigen Unterton des Gesprächs auszuweichen.
»Aber ihr Moslems dürft ihn nicht trinken, nicht wahr?«, hakte Boris nach.
»Der Koran verbietet Alkohol, das ist richtig«, antwortete Chalil. Er sprach das Buch der Bücher Kur’an aus. »Aber in Dubai sind wir nicht so streng. Die großen Hotels haben alle Lizenzen zum Alkoholausschank.«
Auf einmal wurde mir klar, dass sein so fromm klingender Spruch über das Spenden und die Armen das Zitat einer Sure aus dem Koran gewesen sein musste. Und meine spöttische Bemerkung, er sei wohl Jesus, war womöglich eine Beleidigung seines Glaubens gewesen. Keine Ahnung. Wir hatten zwar den Islam in der Schule durchgenommen, doch ich hatte nicht wirklich aufgepasst.
»Aber bei euch dürfen die Frauen keinen Führerschein machen und nicht Auto fahren, nicht wahr?«, stichelte Boris weiter.
Chalil hob das Kinn und nagelte seinen dunklen Blick in Boris’ blassblaue Augen. Doch seine Miene blieb ruhig und freundlich. »Ich lade dich herzlich ein, uns einmal zu besuchen. Dann wirst du sehen, dass die Straßen voll sind von Frauen, die Auto fahren.«
»Was Sie meinen, Boris«, griff mein Vater ein, »ist Saudi-Arabien. Dort dürfen Frauen nicht allein Auto fahren. Und dort gibt es auch offiziell keinen Alkohol. Dubai ist dagegen eher westlich orientiert.«
Doch so schnell wollte sich Boris nicht geschlagen geben. »Aber du trinkst keinen Alkohol, Kalil? Zumindest habe ich dich noch nie auch nur ein Bier mit uns trinken sehen. Bist du ein strenggläubiger Muslim? Betest du auch fünf Mal am Tag?« Boris hob die Augen zum dunklen Himmel, aus dem es Schnee rieselte. »Die Sonne ist untergegangen, müsstest du nicht längst deinen Gebetsteppich ausgerollt haben und dich gen Mekka verbeugen?«
»Gibt es bei euch nicht auch Menschen, welche die Gebote weniger streng befolgen?«, fragte Chalil freundlich, wenn auch leicht genervt. »Außerdem erlaubt es der Islam, unter Umständen auf die täglichen Waschungen und Gebete zu verzichten, auf Reisen zum Beispiel.«
Boris lachte gemütlich. »Und du bist gerade auf Reisen. Verstehe. Aber warum gerade auf Reisen?«
»Weil der Reisende früher oft nicht wusste, wo Mekka liegt.«
»Aber heute gibt es Kompasse!«
»Und in welcher Richtung liegt von hier aus gesehen Mekka?«
»Im Osten!«, bemerkte einer der anderen Studenten, versuchte, sich auf dem Marktplatz zwischen den Häusern zu orientieren und streckte dann den Arm Richtung Stiftskirche aus. »Dort.«
»Nein, dort ist Osten!«, widersprach ein anderer und deutete mit großer Geste in die Gegenrichtung zum Kaufhaus Breuninger.
»Und ich müsste auch genau wissen«, fuhr Chalil amüsiert fort, »wann in diesen Breiten an welchem Tag die Sonne aufgeht, wann sie am höchsten steht und wann sie untergeht und das letzte Licht verlöscht. Bei uns steht das auf die Sekunde genau in der Zeitung.«
»Außerdem ruft der Muezzin die Gebetsstunden aus!«, ergänzte Boris. »Und hier irgendwo im Schneematsch den Gebetsteppich ausrollen, ist auch ziemlich eklig. Schmuddelwetter ist einfach
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