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Der hinkende Rhythmus

Der hinkende Rhythmus

Titel: Der hinkende Rhythmus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaye Boralıoğlu
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Müdigkeit, bis ich einen offenen Laden gefunden habe. Dann komme ich nach Hause und du bist nicht da.«
    Güldanes Haltung änderte sich keinen Deut.
    »Ich bin raus, um eine zu rauchen. Bin zu Vater gegangen. Da hab ich ein wenig gestanden. Dann bin ich gekommen, du hast schon geschlafen.«
    »Ich hab geschlafen?«
    »Du hast geschlafen.«
    So wurde die Diskussion beendet. Der Rest war gefährlich. Darüber war sich Yunus im Klaren. Er durfte nicht weiterfragen.
    Den ganzen Tag verließen nicht sie das Haus und aßen all die Speisen, die sie seit Monaten vermisst hatten. Als die Würstchen aufgegessen waren, wurden Köfte gemacht, als die Köfte verspeist waren, kamen die Knoblauchwürste auf den Tisch, handtellervoll aßen sie getrocknete Aprikosen, schoben die Mandeln gleich drei- und fünffach in den Mund. Sie lachten aus vollem Halse.
    Schließlich, als es Abend wurde, nahm Yunus die beiden Überraschungseier in die Hände. Genau so, wie er es sich ausgemalt hatte, hielt er sie Güldane entgegen.
    »Wähl aus«, sagte er.
    Güldane sagte, genau so, wie Yunus es sich ausgemalt hatte: »Das rechte.«
    »Bist du sicher?«
    »Nee«, sagte Güldane, »das linke.«
    »Das linke oder das rechte?«, fragte Yunus. Dabei streckte er abwechselnd die linke und die rechte Hand vor. Mit dem Zeigefinger an den Lippen dachte Güldane nach. Sie wirkte so ernst, dass man meinen könnte, sie würde eine Antwort auf die wichtigste Frage des Lebens suchen.
    »Das linke«, wiederholte sie, genau so, wie Yunus es sich ausgemalt hatte …
    Yunus streckte die linke Hand aus. Als Güldane nach dem Ei greifen wollte, zog er sie zurück und streckte die rechte aus. Sie langte nach der rechten Hand. Jetzt zog er die rechte zurück, streckte die linke aus … Rechts, links … links, rechts … rechts, links …
    Am Ende warf sich Güldane auf ihn und beide wälzten sich mit lautem Gelächter auf dem Boden. Bei der Balgerei prallte er mit dem Kopf gegen die Kante des Beistelltisches. Güldane nutzte sein Gejammer aus und griff nach dem Ei in seiner Hand. Yunus vergaß auf der Stelle seine Schmerzen, flüchtete wie ein Kaninchen unter das Sofa und Güldane ihm hinterher. Von ihrem Gerangel begann das Sofa zu hüpfen. Am Ende konnte sich Güldane ein Überraschungsei schnappen. Yunus war ohnehin erschöpft vom vielen Lachen und Raufen. Er gab auf. Beide aßen gierig ihre Eier. Nach dem letzten Bissen waren sie immer noch unter dem Sofa. Ihre Münder und Nasen schokoladenverschmiert. Yunus sah Güldane ganz hingerissen an, nahm vorsichtig von ihrem Mundwinkel ein dort hängengebliebenes Stück Schokolade und steckte es sich in den Mund. Güldane schaute ihn an.
    »Yunus«, sagte sie, »findest du mich schön?«
    Das beunruhigte Yunus. Was war das denn jetzt für eine Frage? Wie konnte man darauf antworten? Würde ein einfaches Ja reichen? Gab es denn überhaupt ein Wort, das ihre Schönheit beschreiben könnte? Yunus schwieg. Güldane hatte jedoch gar nicht vor, es dabei bewenden zu lassen, ohne dass sie eine Antwort bekam. Sie heftete ihre zwei großen Fragezeichenaugen auf Yunus und schaute ihn entschlossen an. Yunus suchte wie verrückt nach passenden Worten:
    Du bist so schön wie die ganze Welt.
    Du bist schöner als alle Blumen, die du verkaufst.
    Du bist schöner als alle Schauspielerinnen, die ich gesehen habe.
    Du bist so schön wie Wasser, so schön wie Brot.
    Du bist schöner als alles.
    Wie die Engel …
    Wie die Träume …
    Wie die Sonne …
    Wie die Sterne …
    Er konnte sich an keinem dieser Worte festhalten. Sein Mund blieb verschlossen.
    »Stier mich nicht so blöd an«, sagte Güldane. »Ich hab dich was gefragt, hast du es nicht gehört? Bin ich schön?«
    Yunus bejahte mit dem Kopf, brachte kaum vernehmbar einige Laute heraus … Sch… sch… schö… Dann verebbte seine Stimme. Er flüchtete ganz in sich hinein. Güldane strahlte.
    »Sehr?«, fragte sie.
    Ohne den Kopf zu heben, antwortete Yunus ganz leise: »Sehr.«
    Güldane kroch unter dem Sofa hervor, ließ sich darauf fallen, atmete tief aus und lehnte sich zurück. So, als könnte sie nun nach dieser Antwort die Sache für sich abschließen. Als wäre sie in andere Welten geflogen. Yunus setzte sich zu ihr, lehnte sich auf die gleiche Art zurück. Er wollte in derselben Welt mit ihr sein. Bis ans Ende aller Zeiten … sein ganzes Leben lang. Auf demselben Kissen, demselben Sofa.
    »Lass uns von hier weggehen«, sagte er.
    Güldane drehte sich nicht zu ihm, schaute

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