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Der hinkende Rhythmus

Der hinkende Rhythmus

Titel: Der hinkende Rhythmus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaye Boralıoğlu
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sagte Yunus mit breitem Grinsen.
    »Und wird noch mehr werden«, antwortete Güldane stolz, während sie die Scheine ordentlich zusammenfaltete und ein Gummiband über sie zog. »Die Preise steigen.«
    »Was?«
    »Hast doch gehört, wir heben die Preise an. Ab jetzt kostet es nicht zehn, sondern zwölf fünfzig! Zwölf fünfzig pro Person.«
    Yunus war von dieser Ankündigung nicht gerade begeistert. Schließlich musste er am Ende das Geld einsammeln.
    »Vor einem Monat sagten wir sieben fünfzig. Dann haben wir zehn gesagt und die Leute haben gemurrt … Jetzt …«
    Güldane wollte sich aber niemandem andienen. »Wer kein Geld hat, soll nicht kommen«, unterbrach sie ihn. »Wir machen hier keine Vorführung für mittellose Straßenkinder. Das ist was für ordentliche Kerle. Und ein ordentlicher Kerl hat eben auch Geld. Alles klar?«
    Yunus sagte nichts. Der Ruhm der Vorführungen Güldanes war inzwischen weit verbreitet. Bestand ihre Kundschaft anfangs aus drei, vier Milchbärten aus dem Viertel, kamen jetzt Zuschauer von anderen Stadtteilen, sogar aus Kasımpaşa. Jetzt machten sie die Show dreimal die Woche. Die Tage und Uhrzeiten standen nicht fest, Güldane bestimmte sie nach Lust und Laune. Wie seit eh und je drehte Yunus einige Zeit davor mit seinem Tamburin seine Runden durchs Viertel, und die, die es hörten, machten sich sofort an die Vorbereitungen für den Abend und gaben, anders als früher, anderen Kunde von dem bevorstehenden Ereignis.
    Jetzt mussten sie nicht mehr hungern, nicht mehr vor Kälte bibbern. Jetzt konnten sie träumen.
    »Am gaaanz anderen Ende der Welt, sogar noch hinter der Antarktis, da gibt es ein Land, unübertrefflich schön, unsagbar grün, so heißt es«, fing Güldane immer zu erzählen an. »In diesem Land wird es nie Winter. Es ist immer Frühling. Und deswegen sind die Bäume immer voller Blüten. Überall ist es so grüüün, so heißt es. Und der Himmel immer so blaaau. Die Häuser in diesem Land sind so niedlich, und sie haben riiiesige Gärten mit tausend und abertausend verschiedenen Blumen. Und die Menschen in diesen Häusern sind so glücklich. Und iiimmer steigt Rauch auf von den Schornsteinen, und die Gassen duften leeecker nach Brot, üüüberall hört man das Lachen der Kinder. In diesem Land gibt es kein Geld, so heißt es. Denn niemand braucht Geld. Überall sprießt Gemüse, überall Obst, jeder ist frei, alles zu essen, was er möchte, so viel, wie er mag. Dieses Land wird von einem Prinzen und einer Prinzessin regiert. Die Prinzessin ist schöner als jede im ganzen Universum, schöner als jeeedes andere Lebewesen. Und der Prinz sieht besser aus als jeder andere im ganzen Universum, als jeeedes andere Lebewesen. Jeden Morgen nehmen sich Prinz und Prinzessin an die Hand und begrüßen das Volk von ihrem Balkon aus, so heißt es. Und das Volk ruft ihnen zu: Hoch lebe Prinzessin Güldane, hoch lebe Prinz Yunus!«
    Sie riefen es zusammen aus und lachten, bis ihnen die Tränen kamen. Jetzt hatten sie ein Ziel. Sie wollten Geld sparen und sich ein kleines Haus kaufen, mit einem so großen grünen Garten wie in ihren Träumen. In diesem Haus wollten sie sich ihr eigenes Land schaffen und Prinz und Prinzessin dieses Landes werden.
    »Und deswegen«, sagte Güldane, »müssen wir mehr Geld verdienen. Sag morgen den Leuten Bescheid, ab jetzt zwölf fünfzig …«
    … hatte sie gerade gesagt, da klingelte es an der Tür. Im selben Augenblick ertönte auch Safiyes Stimme:
    »Güldane, Mädchen, Yunus, mein Junge, gibt es keine Begrüßung für Mama?«
    Sie stopften das Geld eilig in die Dose und versteckten sie unter dem Bett, da kam auch schon Safiye mit ihrer pompösen Oberweite und den Schweißtropfen auf ihrer Stirn, nach rechts und nach links schwankend, herein. Zunächst küsste sie laut schmatzend ihren Sohn und drückte ihn fest zwischen ihre Brüste. Während Yunus Schweiß und Speichel von seinen Wangen abwischte, kam Güldane an die Reihe. Auch sie wurde gehörig umarmt und mit viel Lärm abgeküsst. Dann setzte sich Safiye mit gespreizten Beinen aufs Sofa. Um ihren Schweiß zu trocknen, fächelte sie sich Luft zu und sprach dabei ohne Punkt und Komma.
    Sie erzählte weitschweifig, wie glücklich sie mit Cevdet dem Zweiten war. Sie berichtete davon, er sei sehr erfolgreich, sei in die Politik gegangen und in einer neugegründeten Partei ein sehr wichtiger Funktionär geworden und habe ihr – an dieser Stelle kicherte sie wie ein junges Mädchen und tat, als

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