Der Hinterhalt
herkomme, regnet es nie so«, sagtest du.
»Wir sollten uns was suchen, wo wir zu Abend essen können«, schlug ich vor, als ich schließlich losfahren konnte. Es regnete noch immer in Strömen. Bei jeder Bewegung der Scheibenwischer blieb mir gerade genug Zeit, um einen Blick auf die Straße zu erhaschen, bevor die Welt wieder in den Fluten verschwand.
»Wo schlafen wir heute Nacht?«, fragtest du, während du beobachtetest, wie der Himmel auf uns herabzufallen schien.
»Kümmern wir uns erst darum, wo wir essen. Dann überlegen wir uns, wo wir schlafen«, erwiderte ich.
Ich konnte wegen des Regens kaum schneller als zehn Meilen in der Stunde fahren. Wir passierten andere Autos, die einfach angehalten hatten, um das Ende des Unwetters abzuwarten. Womöglich hätte ich das Gleiche getan, wenn es so ausgesehen hätte, als würde es irgendwann aufhören. Schließlich entdeckten wir ein kleines Esslokal unmittelbar neben der Straße. Ich bog auf den Parkplatz ein und stellte unseren Wagen auf einer Seite des Lokals ab. »Warum parken wir hier, Joe?«, wolltest du wissen. »Da ist ein Parkplatz genau vor der Tür frei.« Ich hatte unseren Wagen seitlich abgestellt, damit er im Vorbeifahren nicht zu sehen war, obwohl wir nur an einer kleinen Landstraße standen. Ich wollte nichts dem Zufall überlassen, brachte es aber nicht übers Herz, dir das zu sagen. Deshalb legte ich den Rückwärtsgang ein und parkte vor dem Lokal.
Wir setzten uns auf zwei Hocker an der Theke. Du wolltest an der Theke essen, obwohl etliche Sitznischen frei waren. Du sagtest, es sei dir unbegreiflich, wie jemand ein solches Esslokal besuchen und sich nicht an die Theke setzen könne. Du redetest, als wärst du im Urlaub auf Sightseeing-Tour. Wir saßen mit dem Rücken zur Tür und dem Gesicht zur Küche auf den hohen, dick gepolsterten roten Hockern. Einer der beiden Köche, die in dem Lokal arbeiteten, kam zu uns her und nahm unsere Bestellung auf. Er sah aus, wie man sich einen Koch vorstellt: untersetzt, Mitte fünfzig und mit einer weißen, mit Fettflecken übersäten Schürze bekleidet. Ich bestellte eine Cola. Du bestelltest einen Schokolade-Vanille-Milchshake. Es gab keine Milchshakes. Du entschiedst dich stattdessen für einen Kakao. Manchmal vergaß ich, wie jung du noch warst.
Ich bestellte einen Cheeseburger mit Pommes. Du bestelltest ein gegrilltes Käse-Sandwich und eine Tomatensuppe. Dann legtest du mir die Hand auf den Rücken und ließest sie auf meinen Schulterblättern kreisen. Ich glaube, du spürtest, dass ich angespannt war, ohne zu wissen, warum. Nicht einmal ich selbst wusste, warum. Ich hatte einfach ein ungutes Gefühl. Bislang war alles zu glatt gelaufen. Deine Berührung beruhigte mich vorerst.
Ungefähr in der Mitte unserer Mahlzeit ging die Tür auf, und ich spürte, wie der Wind von draußen ins Lokal wehte. Er fegte mit einem Pfeifen durch die Tür. Ich hörte den Regen laut und anhaltend auf den Bürgersteig prasseln. Mit dem Wind kam ein Jugendlicher herein. Er schloss schnell die Tür hinter sich und schottete uns wieder von dem Unwetter ab. Er war ein schlaksiger Typ, groß und dürr. Bekleidet war er mit Jeans und einem völlig durchnässten Kapuzensweatshirt – nicht gerade die ideale Regenbekleidung. Über einer Schulter trug er einen Rucksack. Er setzte sich neben dich auf den übernächsten Barhocker und schlüpfte dabei mit seinem anderen Arm durch den zweiten Schultergurt seines Rucksacks, der schlaff an seinem Rücken herabhing. Dann bestellte er eine Cola und nahm die Speisekarte in die Hand. Für mich sah er aus wie fünfzehn. In Wirklichkeit war er allerdings mindestens ein Jahr älter als du. Seine Haut war fast genauso fettig wie sein Haar. Er hatte Akne am Kinn und auf der Stirn. Nachdem er sich etwas zu essen bestellt hatte, fing er an, sich auf dem Hocker hin und her zu drehen. Das ging ungefähr zwei Minuten lang so, bis der Koch wieder aus der Küche kam und den Jugendlichen anherrschte: »Das ist ein Hocker, Freundchen, und kein beschissenes Karussell.«
Der Jugendliche hielt inne. »Entschuldigung«, sagte er. Er tat mir beinahe leid. Dann widmete er seine Aufmerksamkeit seiner Cola und beschäftigte sich mit dem Strohhalm.
Plötzlich unterbrachst du mich bei meinen Beobachtungen. »Also, wo schlafen wir heute Nacht?«, fragtest du abermals. Der Regen hatte kein bisschen nachgelassen. Er prasselte und wehte unvermindert gegen die Fensterscheiben des Lokals.
»Ich hab’s dir doch
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