Der Hinterhalt
Stimme. »Mach deine verdammte Tür zu, du Idiot!«, rief der Boss aus seinem Zimmer. Ich streckte einen Fuß nach hinten aus, zog die Tür zu und lauschte. Nichts. Der Boss schöpfte keinen Verdacht.
Als wir bei der Treppe ankamen, warf ich einen Blick auf die Stufen. Aus eigener Kraft würde der Australier den Weg nach unten nicht bewältigen können. Ich wandte ihm das Gesicht zu. Unsere Nasen waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Er atmete schwer, und sein Blick wurde langsam glasig. »Ich trage dich runter«, sagte ich zu ihm. Er nickte. Dann ging ich in die Knie und wuchtete mir seinen Körper über die Schultern. Er war schwer. Ich gab mir Mühe, die Stufen leise hinunterzugehen, ohne dabei das Gleichgewicht zu verlieren. Etwa auf halbem Weg nach unten spürte ich, wie das Blut des Australiers von hinten durch meine Maske sickerte. Es fühlte sich warm und klebrig an.
Als wir am unteren Ende der Treppe angelangt waren, lehnte ich den Australier neben der Haustür gegen die Wand. Noch war er bei Bewusstsein. Ich ging mit dem Gesicht nahe zu ihm. »Das Tor. Wie öffne ich das Tor?«
Seine Stimme klang schwach, und er lispelte. »Es gibt einen Knopf. Auf der Innenseite. Neben dem Tor.« Selbstverständlich, hinauszugehen war viel einfacher als hineinzukommen.
»Warte hier«, sagte ich zu dem Australier und wandte mich ab.
»Tu’s nicht«, sagte er lauter, als mir recht war.
Ich drehte mich um und sah ihn an. Er bat mich nicht, ihn nicht zurückzulassen. Er bat mich, seinen Boss zu verschonen. Ich hätte ihm gerne gesagt, dass sein Boss es verdient hatte zu sterben. Ich hätte ihm gerne gesagt, dass sein Boss ihn ausnutzte. Ich hätte ihm gerne gesagt, dass er ein bescheuerter Idiot war, der keine Ahnung hat. Ich tat es nicht. Dafür war keine Zeit.
»Keine Sorge«, entgegnete ich. »Ich bringe ihn schon nicht um. Zumindest nicht heute Abend.« Mehr brachte ich nicht heraus. Ich hätte ihn töten sollen. Es wäre einfach gewesen, einfacher, als es jemals wieder sein würde. Und es wäre schnell gegangen. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Wenn es mir nicht gelang, den Australier zu retten, hätte ich unschuldiges Blut an den Händen. Mir drehte sich der Magen um. Er hatte durchgehalten, bis ich am unteren Ende der Treppe angekommen war, doch jetzt rebellierte er. Ich entfernte mich von dem Australier in die Dunkelheit, stürmte ins nächstgelegene Badezimmer und übergab mich ins Waschbecken. Ich hatte mich noch nie bei einem Job übergeben müssen. Nach meinem zweiten Auftragsmord an einem dreiunddreißigjährigen Ausbilder, der Killer unserer Feinde trainierte, hätte ich mich allerdings beinahe erbrochen. Ich schlitzte ihm die Kehle mit einem Messer auf, als er gerade in sein Auto steigen wollte. Es war eine schmutzige Angelegenheit, bei der eine Menge Blut spritzte. Ab da fing ich an, Leute zu erdrosseln. Das war in der Regel anstrengender, aber es ging wesentlich sauberer über die Bühne.
Nachdem ich mir Reste von Erbrochenem von den Lippen gewischt hatte, verließ ich das Badezimmer und steuerte auf ein Telefon zu. Ohne lange nachzudenken, nahm ich es in die Hand und schaltete es ein. Zu meinem Glück war der Boss nicht in der Leitung. Ich hörte das Freizeichen und wählte 911 in der Hoffnung, dass die Nummer auch in Kanada galt. Mein Anruf wurde rasch von einer Telefonistin entgegengenommen. Sie sagte zunächst etwas auf Französisch, dann auf Englisch: »Neun-eins-eins. Wie können wir Ihnen helfen?«
»Ein Mann wurde angeschossen. Er befindet sich Ecke Maplewood, Spring Grove. Schicken Sie einen Krankenwagen.«
»In Ordnung, Monsieur«, erwiderte die Telefonistin in offiziellem Tonfall. »Wir bräuchten noch ein paar Details. Würden Sie bitte in der Leitung bleiben?«
»Nein.« Ich legte auf und ging zurück zur Haustür. Der Australier stand noch genauso da, wie ich ihn zurückgelassen hatte, doch sein Kopf hing schlaff herab. Er hatte die Augen geschlossen und war bewusstlos. Allerdings sah ich, wie sich seine Brust beim Atmen leicht hob und senkte. Ich trat einen Schritt vor und schlug ihm so fest ich konnte mit der flachen Hand ins Gesicht. Seine Augen öffneten sich abrupt und waren für einen Moment voller Leben. »Bleib wach«, befahl ich ihm. Dann legte ich mir erneut seinen unverletzten Arm über die Schulter und ging mit ihm zur Haustür hinaus.
Uns blieb nicht viel Zeit. Wir mussten die Zufahrt, das Tor und ein paar Häuserblocks bewältigen, um zu der
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