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Der Hinterhalt

Der Hinterhalt

Titel: Der Hinterhalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevor Shane
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verpassen lassen, um in seinen Schuhen zu stecken. Ich wollte ihm versichern, dass ich ein guter Mensch bin. Noch mehr wollte ich mir jedoch von ihm versichern lassen, dass er mich für einen guten Menschen hielt. Doch dafür war nicht genug Zeit. »Es war ein Fehler«, sagte ich. Ich glaube nicht, dass er irgendetwas anderes verstanden hätte. Dann stand ich auf und ging.
    Ich musste noch einen Zwischenstopp einlegen, bevor ich Montreal verließ. Es war etwa drei Uhr morgens, als ich schließlich bei deiner Wohnung ankam. Ich weckte mit meinem Klingeln deine Mitbewohnerin, doch das war dir egal. Nachdem ich die Wohnung betreten hatte, zerrtest du mich in dein Zimmer und küsstest mich fest. »Ich muss abreisen«, sagte ich, nachdem du mich aus deiner Umarmung entlassen hattest. Beim Sprechen zitterte ich am ganzen Körper.
    »Warum? Was ist passiert?«, fragtest du, deine Stimme voller Besorgnis. Du machtest dir Sorgen um mich. Seit meiner Kindheit hatte sich niemand mehr so um mich gesorgt.
    »Nichts. Ich muss abreisen. Aus beruflichen Gründen. Es sind ein paar verrückte Dinge passiert.« Ich konnte mein Zittern nicht kontrollieren.
    Du nahmst meine Hände in deine, um das Zittern zu stoppen. »Alles in Ordnung mit dir?«
    Ich sah dir in die Augen. Du blicktest mich unverwandt an. »Ich komme schon klar«, entgegnete ich schließlich. »Aber ich muss weg.« Jedes Wort schmerzte. »Ich rufe dich an, sobald ich kann.« Ich hatte das Gefühl, mit jedem Satz einen Schlag in den Magen zu bekommen. »Und ich komme bald zurück. Das verspreche ich dir.«
    »Okay«, erwidertest du. »Schon gut.« Du riebst meine Hände, um mich zu beruhigen.
    Ich beugte mich zu dir vor, und wir küssten uns. Ich betete, dass es nicht das letzte Mal sein würde. »Ich liebe dich«, flüsterte ich.
    »Ich liebe dich auch«, flüstertest du zurück.
    Ich nahm ein Taxi zum Flughafen, wo ich mir ein Auto mietete. Dann fuhr ich in die Morgendämmerung und betrachtete durch die Windschutzscheibe den Sonnenaufgang. Irgendwann am Vormittag überquerte ich die Grenze. Beim Fahren hörte ich einen französischsprachigen Radiosender. Ich verstehe kein Wort Französisch, doch aus irgendeinem Grund beruhigte der Klang meine Nerven. Schließlich hielt ich bei einem Motel in Vermont. Der Parkplatz war voller Autos mit Dachträgern und Skiern. Urlauber. Während der nächsten zwölf Stunden schlief ich oder auch nicht – ich bin mir nicht sicher –, aber ich weiß, dass ich mich nicht bewegte, nicht ein einziges Mal. Ich lag einfach nur da und versuchte, alles über mein Leben zu vergessen – außer dir.

ACHTES KAPITEL
    Am Donnerstag stand ich gegen Mittag auf und ging Laufen. Während meines Aufenthalts in Montreal hatte ich mein Training vernachlässigt, was mich beinahe teuer zu stehen gekommen wäre. Ich lief zehn Meilen. Als ich zum Motel zurückkehrte, machte ich Sit-ups und Liegestütze, bis ich vor Erschöpfung fast zusammenbrach. Ich hoffte, dass das Training mir dabei helfen würde, meine Nerven zu beruhigen. Es half nicht. Ich fühlte mich in dem kleinen, eingeschneiten Hotel gefangen. Ich fühlte mich, als würde ich jeden Moment in Flammen aufgehen. Selbst wenn ich in meinen Wagen gestiegen wäre, ich hätte nicht gewusst, wohin ich fahren soll.
    Der erste Tag verging, und ich rief dich nicht an. Ich wollte es tun. Ich griff immer wieder zum Hörer und begann zu wählen, überlegte es mir aber jedes Mal anders. Ich wusste nicht, was ich dir hätte sagen können, ohne dich dabei anzulügen. Ich hatte dir versprochen, dich nicht anzulügen, also rief ich dich nicht an.
    Den größten Teil des restlichen Tages verbrachte ich vor dem Fernseher. Zum Mittag- und Abendessen fuhr ich zu einem Pizzarestaurant in der Nähe. In der Nacht kehrte meine Schlaflosigkeit zurück. Ich wälzte mich hin und her und kam zu dem Schluss, dass deine Stimme das Einzige war, was mich davor bewahren konnte, verrückt zu werden. Um zwei Uhr morgens rief ich dich schließlich an. Ich versuchte, dem Wahnsinn zu trotzen.
    Das Telefon läutete drei Mal, bis du abhobst. Du hattest geschlafen. Es machte mich eifersüchtig, dass du schlafen konntest, während ich wach lag, weil ich mir deinetwegen den Kopf zermarterte. Deine Stimme klang ruhig. Sie war heiser, wie sie es oft früh am Morgen ist. »Hallo«, sagtest du. Ich hätte beinahe aufgelegt, da ich plötzlich Angst davor hatte zu sprechen. »Hallo?«, wiederholtest du. »Joseph?« Als du meinen Namen sagtest, war

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