Der Hintermann
hatten schätzungsweise dreitausend zurückgelassene Autos den Parkplatz des Flughafens verstopft. Unter manchen Scheibenwischern hatten hastig hingekritzelte Entschuldigungen gesteckt, adressiert an die Gläubiger. In Dubai hatte ein Gebrauchtwagen heutzutage fast keinen Wert. Staus, die früher eine landestypische Plage gewesen waren, existierten praktisch nicht mehr.
Der Herrscher blickte weiter von zahlreichen Plakatwänden auf sein Emirat herab, aber heutzutage wirkte sein Gesichtsausdruck etwas mürrisch. Sein Plan, aus einem verschlafenen Fischereihafen ein globales Handels-, Finanz- und Tourismuszentrum zu machen, war unter einem gigantischen Schuldenberg begraben worden. Sein Traum von einem zukünftigen Dubai war wie eine Seifenblase geplatzt. Und noch schlimmer war es, dass er die Grundlagen für ein zukünftiges ökologisches Desaster gelegt hatte: Die Einwohner Dubais hatten den größten CO&S_T;2-Fußabdruck der Welt. Sie vergeudeten pro Kopf mehr Wasser, das ausschließlich aus Energie fressenden Meerwasserentsalzungsanlagen kam, als sonst jemand auf der Welt und verbrauchten ungeheure Energiemengen zur Klimatisierung von Häusern, Büros, Swimmingpools und Indoor-Skipisten. Nur die Gastarbeiter mussten ohne Klimaanlagen auskommen. Sie schufteten unter der erbarmungslosen Sonne – in manchen Fällen bis zu sechzehn Stunden täglich – und hausten in schmutzigen Schlafbaracken, in denen es von Fliegen wimmelte, ohne auch nur einen Ventilator zur Kühlung zu besitzen. Sie führten ein so elendes Leben, dass jedes Jahr Hunderte von ihnen Selbstmord verübten, auch wenn der Herrscher und seine Geschäftspartner diese Tatsache leugneten.
Seine achtzigtausend einheimischen Schützlinge in Dubai hatten keinen Grund zur Klage. Sie genossen kostenlose staatliche Gesundheitsfürsorge, wohnten mietfrei, bekamen Schule und Studium umsonst und hatten eine lebenslängliche Jobgarantie – natürlich immer unter der Voraussetzung, dass sie darauf verzichteten, den Herrscher zu kritisieren. Ihre Großeltern hatten von Kamelmilch und Datteln gelebt, jetzt hielt ein Heer von Gastarbeitern die Wirtschaft in Gang und kümmerte sich um jede ihrer Launen wie auch Bedürfnisse. Die Männer stolzierten in schneeweißen Kanduras und mit weißen oder rot-weiß karierten Ghutras durch die Stadt. Nur wenige Zugezogene sprachen jemals mit einem Einheimischen. Und wenn sie’s taten, war das Gespräch selten angenehm.
Auch innerhalb der in Dubai lebenden ausländischen Gemeinde gab es eine strikte Hierarchie. Die Briten und andere gut verdienende Ausländer blieben in den Stadtbezirken Satwa und Jumeirah unter sich, während das Proletariat aus den Schwellenländern vor allem jenseits des Dubai Creeks in dem alten Bezirk Deira hauste. Bei einem Spaziergang über seine Straßen und Plätze konnte man glauben, alle möglichen Länder zu durchkreuzen: hier eine indische Provinz, dort ein pakistanisches Dorf, hier ein Stadtviertel Moskaus oder Teherans. Jede Gemeinschaft hatte irgendeine Kleinigkeit aus ihrer Heimat mitgebracht. Aus Russland waren Verbrechen und Frauen gekommen, beides gab es reichlich im Odessa, einer Bar und Diskothek unweit des Gold-Suks. Gabriel saß im hinteren Teil des halbdunklen Lokals mit einem Glas Wodka vor sich in einer Sitznische. Am Nebentisch knutschte ein Brite, dessen Gesicht sonnenverbrannt war, mit einer unterernährten Jugendlichen aus der russischen Provinz. Keines der Mädchen machte sich an Gabriel heran. Er sah nach einem Mann aus, der keine Gesellschaft suchte.
Nicht davon abschrecken ließ sich hingegen ein schlaksiger blonder Russe, der kurz nach Mitternacht schwungvoll ins Odessa rauschte. Er schritt zuerst die Theke ab, um einige der strafferen Pos zu tätscheln, und kam dann hinüber an Gabriels Tisch. Sofort wollte sich eines der Mädchen zu ihm gesellen, aber der schlaksige Russe schickte es mit einer Bewegung seiner langen bleichen Hand wieder weg. Als endlich die Bedienung kam, bestellte er einen Wodka und gleich noch einen weiteren für seinen Freund.
»Trink was«, sagte Michail. »Sonst hält kein Mensch dich für einen Russen.«
»Ich will kein Russe sein.«
»Ich auch nicht. Deshalb bin ich nach Israel gezogen.«
»Bin ich vom Hotel aus beschattet worden?«
Michail schüttelte den Kopf.
Gabriel kippte seinen Wodka unter den Tisch und sagte: »Komm, ich muss hier raus.«
Michail sprach ausschließlich Russisch, während sie zu dem Apartmentgebäude nahe der Corniche
Weitere Kostenlose Bücher