Der Hintermann
bewundert wurde, und vor allem einer, auf den Verlass war – eine bei Spionen und Geheimagenten seltene Eigenschaft.
Graham Seymour war jedoch kein Mann, dessen Geduld grenzenlos war, wie sein missmutiger Gesichtsausdruck zeigte, als der Jaguar jetzt auf die Straße hinausfuhr. Er zog die nächste Morgenausgabe des Telegraph aus der Tasche in der Sitzlehne vor ihm und ließ sie auf Gabriels Schoß fallen. HERRSCHAFT DES SCHRECKENS lautete die Schlagzeile. Darunter zeigten drei Fotos, wie es nach den Anschlägen in Paris, Kopenhagen und London ausgesehen hatte. Gabriel suchte das Foto aus dem Covent Garden nach Anzeichen für seine Anwesenheit ab, sah aber nur Bombenopfer. Ein deprimierendes Bild, fand er – achtzehn Tote und Dutzende von Schwerverletzten, darunter einer der Polizeibeamten, die sich auf ihn geworfen hatten. Und das alles wegen des Schusses, den er nicht hatte abgeben können.
»Verdammt schlimmer Tag«, sagte Seymour müde. »Noch schlimmer könnte er nur werden, denke ich, wenn die Medien von Ihrer Anwesenheit erfahren. Bis die Verschwörungstheoretiker fertig sind, wird die islamische Welt glauben, die Anschläge seien vom Dienst geplant und ausgeführt worden.«
»Sie können sicher sein, dass das schon der Fall ist.« Gabriel gab die Zeitung zurück und fragte: »Wo ist meine Frau?«
»Sie ist in Ihrem Hotel. Ich habe ein Team auf dem Flur stationiert.« Seymour machte eine Pause, dann fügte er hinzu: »Verständlicherweise ist sie nicht gerade zufrieden mit Ihnen.«
»Woher wollen Sie das wissen?« Von der Druckwelle der Detonation summten Gabriel noch immer die Ohren. Er schloss die Augen und fragte, wie das SO19-Team ihn so rasch hatte aufspüren können.
»Wie Sie sich denken können, stehen uns alle möglichen technischen Mittel zur Verfügung.«
»Zum Beispiel Handyortung und Ihr Netzwerk aus Überwachungskameras?«
»Genau«, sagte Seymour. »Nachdem Chiaras Anruf eingegangen war, konnten wir Sie innerhalb weniger Sekunden orten. Wir haben Gold Command, das Krisenzentrum der Met, informiert, das sofort zwei Specialist Firearms Officers entsandt hat.«
»Sie müssen in der Nähe gewesen sein.«
»Das waren sie«, bestätigte Seymour. »Nach den Anschlägen in Paris und Kopenhagen waren wir in höchster Alarmbereitschaft. Mehrere Teams waren bereits im Bankenviertel und an Orten, die viele Touristen anziehen, im Einsatz.«
»Weshalb haben sie mich niedergerungen statt den Selbstmordattentäter?«
»Weil weder Scotland Yard noch Security Service eine Wiederholung des Menezes-Fiaskos wollten. Als Folge seines Todes sind neue Richtlinien und Verhaltensmaßregeln erlassen worden, die garantieren sollen, dass so etwas nie wieder passiert. Es genügt wohl, wenn ich sage, dass eine einzelne Warnung weit unterhalb der Schwelle für einen tödlichen Rettungsschuss liegt – selbst wenn der Informant zufällig Gabriel Allon heißt.«
»Deshalb sind also achtzehn Menschen zu Tode gekommen?«
»Was wäre gewesen, wenn er kein Terrorist gewesen wäre? Wenn er ein weiterer Straßenkünstler oder geistig verwirrt gewesen wäre? Wir wären auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden.«
»Aber er war kein Straßenkünstler oder Geistesgestörter, Graham. Er war ein Selbstmordattentäter. Und ich habe Sie vor ihm gewarnt.«
»Woher haben Sie das gewusst?«
»Er hätte genauso gut ein Schild hochhalten können, um seine Absichten anzukündigen.«
Gabriel zählte die Punkte auf, die ihn anfangs misstrauisch gemacht hatten, und erklärte dann, wie er sich ausgerechnet hatte, dass der Terrorist seinen Sprengsatz um 14.37 Uhr zünden würde. Seymour schüttelte langsam den Kopf.
»Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Stunden wir dafür aufgewandt haben, unsere Polizeibeamten darin auszubilden, potenzielle Terroristen zu erkennen – von den Millionen Pfund, die wir für Software zur Erkennung auffälliger Verhaltensweisen durch Überwachungskameras ausgegeben haben, ganz zu schweigen. Und trotzdem ist ein Selbstmordattentäter unbehelligt in den Covent Garden marschiert, und keiner hat etwas gemerkt. Keiner außer Ihnen, versteht sich.«
Seymour versank in mürrisches Schweigen. Sie waren auf dem gleißend hell beleuchteten Canyon der Regent Street nach Norden unterwegs. Gabriel lehnte den Kopf müde an die Seitenscheibe und fragte, ob der Attentäter schon identifiziert sei.
»Er hat Farid Khan geheißen«, sagte Seymour. »Seine Eltern sind Ende der Siebzigerjahre aus Lahore nach England
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