Der Hintermann
ruhig. »Ich bitte Sie, sie freizulassen.«
»Als humanitäre Geste?«
»Nennen Sie’s, wie Sie’s wollen. Verhalten Sie sich einfach anständig.«
»Sie haben ihren Vater vor ihren Augen ermordet und fordern jetzt mich zu anständigem Verhalten auf?«
»Was wollen Sie, Malik?
»Wir fordern die Freilassung aller Brüder, die nach Ihrem kleinen Täuschungsmanöver von den Amerikanern und ihren Verbündeten inhaftiert wurden. Außerdem fordern wir die Freilassung aller illegal in Guantánamo Bay festgehaltenen Brüder.«
»Keine Freilassung palästinensischer Häftlinge? Sie enttäuschen mich.«
»Ich will mich nicht in die laufenden Verhandlungen zwischen Ihnen und den Brüdern der Hamas einmischen.«
»Verlangen Sie etwas Realistisches, Malik – etwas, das ich Ihnen tatsächlich geben kann.«
»Mit Terroristen verhandeln wir nicht. Entlassen Sie unsere Brüder, dann lassen wir Ihre Spionin frei, ohne ihr weiter zu schaden.«
»Was haben Sie ihr angetan?«
»Ich kann Ihnen versichern, dass das nichts im Vergleich zu dem war, was unsere Brüder tagtäglich in den Folterkammern von Kairo, Amman und Riad erleiden.«
»Lesen Sie denn keine Zeitung, Malik? Die arabische Welt wandelt sich. Der Pharao ist gestürzt. Das Haus Saud weist Risse auf. Der kleine Haschemitenkönig in Jordanien fürchtet um sein Leben. Die anständigen Araber haben binnen Monaten bewirkt, was die al-Qaida und ihresgleichen in jahrelangen sinnlosen Massakern nicht erreichen konnten. Ihre Zeit ist vorbei, Malik. Die arabische Welt will Sie nicht. Lassen Sie Nadia frei.«
»Das kann ich nicht, Allon.« Er machte eine Pause, als denke er über einen Ausweg aus dieser selbst geschaffenen Pattsituation nach. »Aber es gibt eine Möglichkeit …«
Gabriel hörte sich Maliks Anweisungen an. Das taten auch Schamron, Navot und Adrian Carter.
»Was passiert, wenn wir nicht einwilligen?«, fragte Gabriel.
»Dann erleidet sie die traditionelle Strafe für vom Glauben Abgefallene. Aber keine Sorge, Sie werden ihre Hinrichtung im Internet sehen können. Um die Kämpfer, die ihretwegen aufgeflogen sind, zu ersetzen, will der Jemenit im Netz neue Leute anwerben.«
»Ich brauche einen Beweis dafür, dass sie noch lebt.«
»In diesem Punkt werden Sie mir einfach vertrauen müssen, fürchte ich«, sagte Malik. Dann brach die Verbindung ab.
Sekunden später klingelte Gabriels Blackberry nochmals. Der Anrufer war Adrian Carter.
»Er ist eindeutig noch in den Emiraten.«
»Wo?«
»Die NSA hat seinen Standort noch nicht genau errechnen können, aber sie vermutet ihn in der westlichen Wüste, in der Umgebung der Oase Liwa. Wir haben dort schon eine Drohne im Einsatz, und zwei weitere sind im Anflug.«
Aus einem Innenfach seiner Reisetasche holte Gabriel eine kleine Kapsel. Sie hatte ungefähr die Größe einer mittleren Vitaminpille. An einem Ende war ein winziger Metallschalter angebracht. Gabriel betätigte ihn, dann fragte er: »Empfangen Sie das Signal?«
»Ich hab’s«, sagte Carter.
Gabriel verschluckte die Kapsel. »Und jetzt?«
»Ich hab’s weiterhin.«
»In zehn Minuten im Fisch-Suk.«
»Verstanden.«
Gabriel trug noch immer den Anzug, mit dem er sich als Geschäftsmann ausgegeben hatte. Er überlegte kurz, ob er etwas anziehen sollte, das für eine Nacht in der Wüste besser geeignet war, und erkannte dann, dass das überflüssig wäre. Seine Entführer würden bestimmt dafür sorgen, dass er andere Kleidung bekam. Seine Armbanduhr kam ebenso in die Reisetasche wie das Blackberry, die Geldbörse, sein Reisepass und seine Beretta. Injektionsspritzen und Suxamethonchlorid hatte er nicht mehr bei sich, nur noch Advil und ein Medikament gegen Durchfall. Er schluckte genügend Advil, um die Schmerzen aller Verletzungen, die er in den kommenden Stunden erleiden könnte, zumindest abzumildern, und genug von dem Durchfallmittel, um seine Eingeweide für einen Monat dicht zu halten wie Beton. Dann sperrte er seine Reisetasche in den Kleiderschrank und verließ die Wohnung und das Haus.
Für den kurzen Weg zum Fisch-Suk hatte Gabriel noch sechs Minuten Zeit. Der Markt lag in der Nähe der Mündung des Dubai Creeks entlang der Corniche. Trotz der späten Stunde waren dort noch Gruppen von jungen Männern unterwegs, um die Nachtluft am Wasser zu genießen: Pakistani, Bangladeschi, Filipinos und vier Araber, die gar keine Araber waren. Gabriel blieb unter einer Straßenlampe stehen, um deutlich sichtbar zu sein. Keine halbe Minute später
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