Der Hintermann
Gabriel achtete kaum auf diese Orientierungspunkte. Er beobachtete das sorgfältig choreografierte Manöver auf der Straße vor ihnen. Vier der Geländewagen fuhren jetzt so nebeneinanderher, dass sie alle vier Fahrspuren blockierten. Dabei verringerten sie ihre Geschwindigkeit, während der fünfte Wagen, der GMC Denali mit Malik al-Zubair, vor ihnen davonraste.
»Er hängt uns ab, Chiara. Du musst an ihnen vorbei.«
»Aber wo?«
»Du musst’s irgendwie schaffen.«
Chiara lenkte ruckartig nach links. Dann wieder scharf nach rechts. Jedes Mal blockierte ein Geländewagen die Spur vor ihnen.
»Du musst zwischen ihnen durch.«
»Gabriel!«
»Los jetzt!«
Sie versuchte es. Aber es gab kein Durchkommen.
Sie näherten sich dem Ende der Freihandelszone Dschebel Ali. Dahinter begann der breite Wüstengürtel, der Dubai von dem Emirat Abu Dhabi trennte. Gabriel konnte Maliks Denali nicht mehr sehen, er war zu einem fernen Stern in einer Galaxie aus weiteren Heckleuchten geworden. Unmittelbar vor ihnen sprang eine Verkehrsampel von Grün auf Gelb um. Die vier Geländewagen bremsten scharf – für Dubai bestimmt eine Premiere – und hielten an. Während hinter ihnen wild gehupt wurde, stieg einer der Malik-Doppelgänger aus und starrte Gabriel lange an, bevor er sich mit der Handkante wie mit einem Messer über die eigene Kehle fuhr. Gabriel fragte sein Team rasch über Funk ab und stellte fest, dass alle abrufbereit und gesund waren. Dann wählte er die Nummer von Nadias Blackberry. Sie meldete sich nicht.
61
D UBAI
Der Boeing Business Jet, dessen Eigner und Betreiber die AAB Holding war, startete um 22.40 Uhr auf dem Dubai International Airport. Alle Indizien wiesen darauf hin, dass Nadia al-Bakari, die Alleinaktionärin von AAB, zu diesem Zeitpunkt nicht an Bord war.
Die Verbindung zu ihrem Blackberry war um 22.14 Uhr abgebrochen, als ihre Limousine den Dubai Creek überquerte, und es konnte von ihm kein Signal irgendwelcher Art mehr gefunden werden. In den Sekunden vor dem Abbruch hatte Nadia noch freundlich mit Rafiq al-Kamal geplaudert. Das letzte gesendete Geräusch war ein dumpfes Poltern, das alle möglichen Ursachen gehabt haben konnte: von einem Schlag, der Nadia außer Gefecht gesetzt hatte, bis hin zu ihrer Angewohnheit, mit dem Fingernagel ungeduldig auf das Display zu tippen, was sie auf langweiligen Autofahrten oft tat. Die in ihrer Handtasche und ihrer Kleidung versteckten Sender waren inzwischen weit außer Reichweite des Horchpostens im Burj al Arab und konnten deshalb keine Hinweise darauf liefern, was passiert war.
Nur die GPS-Sender waren weiterhin funktionsfähig. Schließlich bewegten sie sich aber nicht mehr weiter, sondern blieben bei einem unbebauten Grundstück an der Straße nach Hatta in der Nähe des Poloclubs stehen. Gabriel fand die Jacke des Kostüms von Vauthier um 22.53 Uhr und die Armbanduhr einige Minuten später. Er nahm beide Stücke zu dem Land Cruiser mit, um sie bei Licht näher zu untersuchen. Die Kostümjacke war an mehreren Stellen zerrissen und hatte am Kragen Blutflecken. Das Kristallglas der Uhr war zertrümmert, aber die auf der Rückseite eingravierte Widmung war noch gut lesbar: Auf die Zukunft, Thomas.
Er wies Chiara an, ins Hotel zurückzufahren, dann schickte er mit seinem Blackberry eine Meldung nach Langley. Die Antwort kam zwei Minuten später. Als Gabriel sie las, fluchte er leise vor sich hin.
»Was schreiben sie?«
»Wir sollen sofort zum Flughafen rausfahren.«
»Und was ist mit Nadia?«
»Es gibt keine Nadia«, sagte Gabriel und steckte sein Mobiltelefon ein. »Nicht aus der Sicht von Langley und Schamron. Nicht mehr.«
»Wir lassen sie zurück?«, fragte Chiara aufgebracht, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. »Ist es das, was wir nach ihrem Willen zu tun haben? Wir sollen ihr Geld und ihren Namen benutzen und sie dann den Wölfen zum Fraß vorwerfen? Weißt du, was mit ihr passieren wird?«
»Sie werden sie umbringen«, sagte Gabriel. »Und sie werden ihr keinen schnellen Tod gönnen. Das entspräche nicht der Art, wie sie ihre Geschäfte führen.«
»Vielleicht ist sie schon tot«, sagte Chiara. »Vielleicht hat Maliks Freund versucht, dir das pantomimisch mitzuteilen.«
»Schon möglich«, sagte Gabriel, »aber ich glaub’s nicht. Hätten sie Nadia gleich umbringen wollen, hätten sie sich nicht die Mühe gemacht, ihre Kleidung und die Armbanduhr aus dem Wagen zu werfen. Das lässt darauf schließen, dass sie erst noch
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