Der Hintermann
nicht langsam, fürchte ich.«
»An Ihrer Stelle würde ich Seiner Hoheit raten, sich die Sache mit der öffentlichen Hinrichtung noch mal zu überlegen. Die könnte ihn seine Ölfelder kosten.«
»Die Ölfelder gehören dem saudi-arabischen Volk.«
»Oh, natürlich«, sagte Gabriel. »Wie konnte ich das nur vergessen?«
In den folgenden Nächten hallten in Gabriels Einzelzelle die Schreie gefolterter Männer wider. Weil er keinen Schlaf fand, holte er sich eine Infektion, die mit intravenös verabreichten Antibiotika bekämpft werden musste. Sein schlanker Körper verlor noch ein paar Pfund. Er magerte so ab, dass beim nächsten Verhör selbst der Falke besorgt wirkte.
»Vielleicht können wir eine Vereinbarung treffen«, schlug er vor.
»Was für eine Vereinbarung?«
»Sie beantworten meine Fragen, und ich sorge im weiteren Verlauf dafür, dass Sie Ihren Lieben mit fest auf den Schultern sitzendem Kopf zurückgegeben werden.«
»Weshalb sollte ich Ihnen trauen?«
»Weil ich im Augenblick der einzige Freund bin, den Sie haben, mein Lieber.«
Für Vernehmungen gilt eine Binsenwahrheit: Irgendwann redet jeder. Nicht nur Terroristen, sondern auch professionelle Geheimdienstagenten. Aber wie sie reden und was sie sagen, bestimmt darüber, ob sie ihren Kollegen nach ihrer Freilassung noch in die Augen sehen können. Darüber war Gabriel sich im Klaren. Und das wusste auch der Falke.
So veranstalteten sie die folgende Woche einen heiklen Tanz wechselseitiger Täuschungen. Chalid stellte viele sorgfältig formulierte Fragen, auf die Gabriel mit vielen Halbwahrheiten und glatten Lügen antwortete. Die Unternehmen, die er verriet, hatte es nie gegeben. Das galt auch für Informanten, sichere Häuser und abhörsichere Kommunikationsmethoden. Sie alle wurden in den langen Stunden erfunden, die Gabriel in seiner Zelle eingesperrt verbrachte. Es gab Dinge, die er angeblich nicht wusste, und andere, die er sich preiszugeben weigerte. Beispielsweise sagte Gabriel nichts, als Chalid ihn aufforderte, die Namen aller in Europa eingesetzten Geheimagenten anzugeben. Er weigerte sich auch, die Namen der Agenten zu nennen, die mit ihm gegen Raschid al-Husseini und Malik al-Zubair zusammengearbeitet hatten. Gabriels Unnachgiebigkeit schien den Falken nicht zu verärgern. Er schien ihn dafür umso mehr zu respektieren.
»Wieso sagen Sie mir nicht ein paar falsche Namen, mit denen ich zu meinen Vorgesetzten gehen kann?«, schlug Chalid vor.
»Weil Ihre Vorgesetzten mich gut genug kennen, um zu wissen, dass ich meine besten Freunde nie verraten würde«, sagte Gabriel. »Sie würden nie glauben, dass diese Namen echt sind.«
Für Vernehmungen gilt eine weitere Binsenweisheit: Sie verraten manchmal mehr über den Mann, der die Fragen stellt, als über den Befragten. Gabriel gelangte allmählich zu der Überzeugung, Chalid sei eher ein wahrer Profi als ein wahrer Gläubiger. Er war kein ganz unvernünftiger Mann. Er hatte ein Gewissen. Mit ihm konnte man verhandeln. Langsam, mit kleinen Schritten stellten sie eine Art Bindung her. Es war eine auf Lügen basierende Bindung – die einzige, die in der Welt der Geheimdienste möglich ist.
»Ihr Sohn ist damals in Wien durch eine Autobombe umgekommen?«, fragte Chalid eines Nachmittags plötzlich. Oder vielleicht war es spätnachts, Gabriel wusste nie ganz sicher, welche Tageszeit es war.
»Mein Sohn hat nichts mit dieser Sache zu tun.«
»Ihr Sohn hat alles damit zu tun«, sagte Chalid mit wissendem Lächeln. »Ihr Sohn hat Sie dazu gebracht, dem Schahid in den Covent Garden zu folgen. Und nur seinetwegen haben Sie sich von Schamron und den Amerikanern wieder ins Spiel locken lassen.«
»Sie haben gute Quellen«, sagte Gabriel.
Chalid akzeptierte das Kompliment mit einem Nicken. »Aber eines verstehe ich noch immer nicht«, sagte er dann. »Wie konnten Sie Nadia dazu überreden, mit Ihnen zusammenzuarbeiten?«
»Ich bin ein Profi, genau wie Sie.«
»Warum haben Sie nicht uns um Unterstützung gebeten?«
»Hätten Sie sie denn gewährt?«
»Natürlich nicht.«
Der Saudi blätterte in seinem Notizbuch und runzelte dabei leicht die Stirn, als überlege er, welche Richtung er dem Verhör geben sollte. Gabriel, selbst ein erfahrener Vernehmer, wusste natürlich, dass das alles nur eine Inszenierung war. Zuletzt fragte der Saudi eher beiläufig: »Ist es wahr, dass sie krank war?«
Diese Frage verblüffte Gabriel. Er sah keinen Grund, sie anders als ehrlich zu beantworten.
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