Der Hintermann
»Ja«, sagte er nach kurzer Pause, »sie hatte nicht mehr lange zu leben.«
»Das hatten wir vor einiger Zeit gerüchteweise gehört«, sagte der Saudi, »aber wir konnten nie eine Bestätigung dafür bekommen.«
»Sie hat es vor allen, auch vor ihren engsten Mitarbeitern geheim gehalten. Nicht einmal ihre besten Freunde wussten davon.«
»Aber Sie wussten es?«
»Sie hat mich wegen des Unternehmens ins Vertrauen gezogen.«
»Und an was litt sie?«, fragte der Saudi. Er war mit aufgeschlagenem Notizbuch schreibbereit, als sei Nadias Krankheit ein kleines Detail, von dem ausgehend recherchiert werden müsse für den offiziellen Bericht.
»Ein interkranielles Aneurysma, eine angeborene Fehlbildung im Bereich der Hirnbasisarterien«, antwortete Gabriel ruhig. »Ihre Ärzte haben ihr gesagt, es sei inoperabel. Sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, wann eine tödliche Gehirnblutung auftreten würde. Sie hätte jeden Augenblick sterben können.«
»Deshalb hat sie draußen in der Wüste Selbstmord verübt, indem sie Kugeln aufgefangen hat, die für Sie bestimmt waren?«
»Nein«, sagte Gabriel. »Sie hat sich geopfert.« Er machte eine Pause, dann fügte er hinzu: »Für uns alle.«
Der Saudi sah wieder in sein Notizbuch. »Leider ist sie für unsere moderner eingestellten Frauen eine Art Märtyrerin geworden. Ihre philanthropischen Aktivitäten werden ausführlich diskutiert. Sie scheint eine Art Reformerin gewesen zu sein.«
»Haben Sie sie deshalb beseitigen lassen?«
Chalids Miene blieb ausdruckslos. »Frau al-Bakari ist von Raschid und Malik ermordet worden.«
»Richtig«, sagte Gabriel, »aber irgendjemand hat ihnen verraten, dass sie für uns gearbeitet hat.«
»Vielleicht hatten sie eine mit Ihrem Unternehmen vertraute Quelle.«
»Oder vielleicht hatten Sie eine«, widersprach Gabriel. »Vielleicht waren Raschid und Malik bloße Schachfiguren, die gut dazu benutzt werden konnten, eine ernste Gefahr für das Haus Saud zu beseitigen.«
»Das sind reine Vermutungen Ihrerseits.«
»Gewiss«, sagte Gabriel, »aber historisch schlüssige Annahmen. Immer wenn das Haus Saud sich bedroht fühlt, wendet es sich an die Bärtigen.«
»Die Bärtigen, wie Sie sie nennen, sind für uns eine größere Gefahr als für den Westen.«
»Wieso unterstützen Sie sie dann weiter? Seit dem 11. September ist über ein Jahrzehnt vergangen. Über ein Jahrzehnt «, wiederholte Gabriel, »und Saudi-Arabien finanziert nach wie vor Terroristen und sunnitische Extremisten. Dafür kann es nur eine Erklärung geben: Der Pakt mit dem Teufel ist erneuert worden. Das Haus Saud ist bereit, islamischen Terror zu übersehen, solange der heilige Zorn von den Ölfeldern weg nach außen gerichtet bleibt.«
»Wir sind nicht so blind, wie Sie glauben.«
»Ich habe durch eine auf saudischem Boden getroffene Vereinbarung eine sunnitische Terrorgruppe mit Dollarmillionen unterstützt.«
»Deswegen sitzen Sie jetzt hier.«
»Darf ich annehmen, dass Scheich bin Taijib dann auch irgendwo in diesem Gebäude einsitzt?«
Chalid lächelte unbehaglich, gab aber keine Antwort. Er stellte noch einige belanglose Fragen, dann war das Verhör beendet. Anschließend begleitete er Gabriel zu seiner Zelle zurück, was er noch nie getan hatte. Bevor er die Tür aufschloss, zögerte er. »Wie man hört, verfolgt der US-Präsident Ihren Fall mit größtem Interesse«, sagte er. »Daher vermute ich, dass Ihr Aufenthalt bei uns fast zu Ende ist.«
»Wann komme ich frei?«
»Mitternacht.«
»Wie spät ist’s jetzt?«
Chalid der Falke grinste. »Fünf nach.«
Auf dem Feldbett in Gabriels Zelle lag frische Kleidung für ihn bereit. Chalid wartete draußen, bis er sich umgezogen hatte. Dann führte er Gabriel mehrere Treppen hinauf und auf einen Innenhof hinaus. Dort stand im Mondschein ein riesiger Geländewagen mit laufendem Motor. Das Fahrzeug war ebenso unverkennbar amerikanisch wie die vier Männer, die davor warteten. »In die Innentasche Ihres Sakkos habe ich zwei Dinge für Sie gesteckt«, sagte Chalid halblaut, als sie über den Hof gingen. »Zum einen die Kugel, die Nadias Körper durchschlagen und dann Sie selbst verletzt hat. Zum anderen eine Mitteilung für Adrian Carter. Betrachten Sie sie als eine Art Abschiedsgeschenk, das Ihnen helfen soll, sich an die hier verbrachte Zeit zu erinnern.«
»Was enthält sie?«
»Informationen, die ihm vielleicht nützen werden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meinen Namen dabei raushalten
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