Der Hintermann
angewiesen, langsam vorzugehen, und genau das tat sie jetzt. In der ersten Stunde ihrer Begegnung, während Servierpersonal leise eintrat und den Raum ebenso leise wieder verließ, fragte sie Nadia respektvoll nach den einschneidenden Veränderungen, die es im Investmentprofil der AAB Holding gegeben hatte, und den Gründen dafür aus. Zu Gabriels großer Überraschung erwies sich die öffentlichkeitsscheue saudische Erbin eines Milliardenvermögens dabei als liebenswürdige und aufgeschlossene Gesprächspartnerin, die weit reifer wirkte, als ihre dreiunddreißig Jahre vermuten ließen. Tatsächlich gab es nicht die geringsten Spannungen, bis Zoe sich nonchalant erkundigte, wie häufig Nadia ihre Heimat Saudi-Arabien besuche. Genau wie Gabriel erwartet hatte, bewirkte diese Frage die erste unbehagliche Gesprächspause. Nadia musterte Zoe mit ihren unergründlichen dunklen Augen, bevor sie mit einer Gegenfrage antwortete.
»Waren Sie schon mal in Saudi-Arabien?«
»Einmal«, antwortete Zoe.
»Beruflich?«
»Gibt’s für westliche Ausländer einen anderen Grund, nach Saudi-Arabien zu reisen?«
»Vermutlich nicht.« Nadias Gesichtsausdruck wurde sanfter. »Wo sind Sie gewesen?«
»Zuerst zwei Tage in Riad. Danach war ich in der Rub al-Chali, um die neue Förderanlage von Saudi Aramco bei Schajba zu besichtigen.«
»Richtig, Sie haben darüber geschrieben, diese Anlagen seien ›ein technisches Wunderwerk, das die saudi-arabische Vorherrschaft auf dem globalen Ölmarkt für mindestens eine weitere Generation sichern wird‹.« Nadia lächelte flüchtig. »Glauben Sie wirklich, ich hätte zugestimmt, mich mit Ihnen zu treffen, ohne mich zuvor über Ihre Arbeit zu informieren? Schließlich haben Sie sich einen gewissen Ruf erworben.«
»Wofür?«
»Skrupellosigkeit«, antwortete Nadia, ohne im Geringsten zu zögern. »Die Leute sagen, dass Sie eine gewisse puritanische Ader haben. Sie sagen, dass es Ihnen Spaß macht, Führungskräfte und Unternehmen, die etwas zu verbergen haben, an den Pranger zu stellen.«
»Auf diesem Gebiet arbeite ich nicht mehr. Ich bin jetzt beim Fernsehen. Wir recherchieren nicht. Wir reden nur.«
»Tut es Ihnen nicht leid, keine echte Journalistin mehr zu sein?«
»Sie meinen jemanden, der für Zeitungen schreibt?«
»Ja.«
»Manchmal schon«, gab Zoe zu. »Aber dann sehe ich mir meine Kontoauszüge an und fühle mich gleich besser.«
»Sind Sie deswegen aus London weggegangen? Um mehr Geld zu verdienen?«
»Das hatte auch andere Gründe.«
»Was für Gründe?«
»Gründe, über die ich im beruflichen Umfeld im Allgemeinen nicht spreche.«
»Das klingt ganz so, als hätte dabei ein Mann eine Rolle gespielt«, sagte Nadia beschwichtigend.
»Sie sind sehr scharfsinnig.«
»Ja, das bin ich.« Nadia griff nach ihrem Weinglas, ließ dann aber die Hand sinken. »Ich reise nicht oft nach Saudi-Arabien«, sagte sie unvermittelt. »Alle drei bis vier Monate, nicht öfter. Und wenn ich hinfliege, bleibe ich nie lange.«
»Weil …?«
»Aus den auf der Hand liegenden Gründen.« Ihre nächsten Worte schien Nadia sehr sorgfältig zu wählen. »Die alt-ehrwürdigen Gebote und Vorschriften des Islams sind für unsere Gesellschaft sehr wichtig. Ich habe gelernt, mich innerhalb des Systems auf eine Weise zu bewegen, die es mir gestattet, meine Geschäfte mit einem Minimum an Störungen abzuwickeln.«
»Was ist mit Ihren weiblichen Landsleuten?«
»Was soll mit denen sein?«
»Die meisten haben weniger Glück als Sie. In Saudi-Arabien gelten Frauen als Besitztümer, nicht als Menschen. Die meisten verbringen ihr Leben zu Hause eingesperrt. Sie dürfen selber kein Auto fahren. Sie dürfen sich nicht ohne männliche Begleitung in der Öffentlichkeit zeigen, und bevor sie das tun, müssen Sie sich unter einer Abaya verbergen und sich verschleiern. Sie dürfen nicht ohne Erlaubnis ihres Ehemanns, ihres Vaters oder eines älteren Bruders verreisen – nicht einmal innerhalb des Landes. Ehrenmorde bleiben straffrei, wenn eine Frau Schande über ihre Familie bringt oder sich unislamisch verhält, und auf Ehebruch steht der Tod durch Steinigung. Im Geburtsland des Islams dürfen Frauen außer in Mekka und Medina keine Moschee betreten, was merkwürdig ist, weil Mohammed eine Art Feminist war. ›Behandelt eure Frauen gut und seid gütig zu ihnen‹, hat der Prophet einmal gesagt, ›denn sie sind eure Gefährtinnen und unermüdlichen Helferinnen‹.«
Nadia wischte unsichtbare Flusen von der
Weitere Kostenlose Bücher