Der Hintermann
Chefportier, stand mit goldgerahmter Lesebrille auf der Adlernase hinter seiner Barriere wie einer, den man nur in größter Not um eine Auskunft zu bitten wagen sollte. Herr Schmidt, der importierte deutsche Empfangschef, stand mit einem Telefonhörer am Ohr wenige Schritte von ihm entfernt an der Rezeption, während Isabelle, die Special Events koordinierte, in der Halle ein Orchideengesteck zurechtrückte. Weitgehend unbeachtet blieben ihre Bemühungen beim gelangweilt wirkenden arabischen Geschäftsmann in einem Sessel in der Nähe der Aufzüge und dem Liebespaar, das bei Café crème im kalten Schatten des Innenhofs zusammengedrängt saß. Der Geschäftsmann war in Wirklichkeit einer der zahlreichen Angestellten des AAB-Sicherheitsdiensts. Das Liebespaar waren Jaakov und Chiara. Das Hotelpersonal hielt sie für ein freundliches Paar aus Montreal, das kurzfristig nach Paris geeilt war, um einer Freundin bei ihrer Scheidung beizustehen, die in eine Schlammschlacht auszuarten drohte.
Als die Uhr zweimal schlug, trat Isabelle an die Drehtür und sah erwartungsvoll in den bleigrauen Pariser Nachmittag hinaus. Zoe sah zu dem Innenhof hinüber, wo Jaakov mit einem Zündholzbriefchen auf die Tischplatte klopfte. Das war das vereinbarte Signal dafür, dass die Autokolonne – zwei Mercedes S-Klasse fürs Personal und ein Maybach 62 für Ihre Hoheit – vom AAB-Gebäude am Boulevard Haussmann abgefahren war. Jetzt standen die drei Limousinen auf der schmalen Rue des Miromesnil im Stau. Als er sich endlich aufgelöst hatte, brauchten sie nur fünf Minuten, um das Crillon zu erreichen, an dessen Drehtür Isabelle jetzt mit Hotelpagen stand, die einen eindeutig einladenderen Eindruck machten. Der AAB-Sicherheitsmann in Zivil spielte nun auch nicht mehr den Gelangweilten. Er stand nur wenige Schritte hinter Zoe und gab sich keine große Mühe, die Tatsache zu verbergen, dass er bewaffnet war.
Draußen wurden sechs Türen gleichzeitig aufgestoßen, und sechs Männer sprangen aus den Wagen, alles ehemalige Angehörige der Nationalgarde, einer saudischen Elitetruppe. Einer von ihnen war ein Bekannter für Gabriel und sein Team: Rafiq al-Kamal, der bullige frühere Sicherheitschef Zizi al-Bakaris, der jetzt Nadia al-Bakari beschützte. Es war auch al-Kamal gewesen, der vormittags die Louis-Quinze-Suite im Crillon überprüft hatte. Und es war al-Kamal, der jetzt ergeben hinter Nadia herstiefelte, als sie aus ihrem Maybach in die Hotelhalle schwebte, in der Zoe mit starrem Lächeln und bis zum Hals schlagendem Herzen auf sie wartete.
Im Archiv am King Saul Boulevard gab es viele Fotos, die Nadia in jüngeren Jahren zeigten – vor dem Fall, wie Eli Lavon sich gern ausdrückte. Auf dem Flug nach Paris hatte Zoe eine Auswahl dieser Fotos durchblättern können. Sie zeigten eine eigensinnig wirkende Frau Mitte zwanzig: schwarzhaarig, hübsch, verzogen, hochnäsig. Eine junge Frau, die hinter dem Rücken ihres Vaters rauchte und Alkohol trank und sich in offenem Widerspruch zu Mohammeds Lehren an einigen der schönsten Stränden der Welt im Bikini zeigte. Seit dem Tod ihres Vaters hielt Nadia ihren Rücken gerader, und ihr Gesicht war ernster geworden, ohne dass sie dadurch etwas von ihrer Schönheit verlor. Sie trug ein strahlend weißes Mohairkleid, zu dem ihr gut schulterlanges glattes Haar in wirkungsvollem Gegensatz stand. Ihre Nase war lang und gerade, ihre großen Augen waren dunkelbraun, fast schwarz. Auf ihrer karamellbraunen Haut im Halsausschnitt lag eine schlichte Perlenkette. An ihrem linken Handgelenk funkelte ein massives Goldarmband. Ihr Parfüm war eine betäubende Mischung aus Jasmin, Lavendel und Sonnenhitze. Die Rechte, die sie Zoe gab, war kalt wie Marmor.
»Ich freue mich sehr, Sie endlich kennenzulernen«, sagte Nadia mit einem Akzent, der keine Herkunft, aber unendliche Reichtümer verriet. »Ich habe schon so viel über Ihre Arbeit gehört.«
Sie lächelte zum ersten Mal, ein vorsichtiger Versuch, bei dem der Blick ihrer Augen noch nicht vollständig mitmachte. Zoe fühlte sich durch die Bodyguards eingeengt, aber Nadia tat so, als seien sie gar nicht vorhanden.
»Tut mir leid, dass Sie meinetwegen so kurzfristig nach Paris kommen mussten.«
»Keine Ursache, Ms. al-Bakari.«
»Nadia«, sagte sie, diesmal aufrichtig lächelnd. »Nennen Sie mich bitte Nadia.«
Al-Kamal schien es eilig zu haben, die Gruppe aus der Hotelhalle herauszubekommen – ebenso wie Madame Dubois, die leicht auf den Zehenspitzen
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