Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
Vom Netzwerk:
Tischdecke. »Ich bewundere Ihre Ehrlichkeit, Zoe. Die meisten Journalisten, die sich ein wichtiges Interview zu sichern versuchen, würden Zuflucht zu Schmeicheleien und Plattitüden nehmen.«
    »Das kann ich auch, wenn Ihnen das lieber ist.«
    »Danke, mir ist Ehrlichkeit lieber. Davon haben wir in Saudi-Arabien nicht genug. Tatsächlich meiden wir sie sogar um jeden Preis.« Nadia hatte sich dem Fenster zugewandt. Draußen war es dunkel genug, dass ihr Spiegelbild sich geisterhaft auf der Scheibe abzeichnete. »Ich wusste nicht, dass Sie sich so für die Situation muslimischer Frauen interessieren«, sagte sie leise. »Ihre bisherige Arbeit enthält keine Hinweise darauf.«
    »Wie viel haben Sie davon gelesen?«
    »Alles«, sagte Nadia prompt. »Viele Storys über korrupte Geschäftsleute, aber keine über die missliche Lage der muslimischen Frauen.«
    »Mich interessieren die Rechte aller Frauen, unabhängig von ihrem Glauben.« Zoe machte eine Pause, dann fügte sie provozierend hinzu: »Ich könnte mir vorstellen, dass das bei jemandem in Ihrer Position nicht anders ist.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Weil Sie genügend Macht und Einfluss besitzen, um eine wichtige Vorbildrolle zu spielen.«
    »Ich führe ein großes Unternehmen, Zoe. Ich habe weder Zeit noch Lust, politisch aktiv zu werden.«
    »Sie machen keine?«
    »Keine was?«
    »Politik.«
    »Ich bin Bürgerin Saudi-Arabiens«, sagte Nadia. »Wir haben einen König, keine Politiker. Außerdem kann Politik im Nahen Osten sehr gefährlich sein.«
    »Ist Ihr Vater aus politischen Gründen ermordet worden?«, fragte Zoe vorsichtig.
    Nadia wandte sich ihr zu. »Ich weiß nicht, weshalb mein Vater ermordet wurde. Das weiß vielleicht niemand – außer seinen Mördern, versteht sich.«
    Danach herrschte sekundenlang bedrückendes Schweigen. Erst das Geräusch der aufgehenden Tür beendete die Stille. Zwei Ober kamen mit Gebäck und Kaffee auf Tabletts herein. Ihnen folgten Rafiq al-Kamal, der Chef des Sicherheitsdiensts, und Madame Dubois, die auf das Ziffernblatt ihrer Cartier-Armbanduhr tippte, um anzudeuten, das Gespräch dauere schon viel zu lange. Zoe fürchtete, Nadia könnte dieses Zeichen als Grund dafür benutzen, ihr Gespräch abzubrechen. Stattdessen wies sie die Eindringlinge mit herrischer Geste wieder hinaus. Auch der Ober mit dem Gebäcktablett durfte wieder gehen, aber sie akzeptierte einen Kaffee, den sie schwarz und mit einer Unmenge Zucker trank.
    »Sind diese Fragen beispielhaft für die, welche Sie mir vor der Kamera stellen wollen? Fragen nach den Frauenrechten in Saudi-Arabien? Fragen nach dem Tod meines Vaters?«
    »Wir teilen nie im Voraus mit, welche Fragen bei einem Interview gestellt werden.«
    »Kommen Sie, kommen Sie, Zoe. Wir wissen beide, wie solche Dinge funktionieren.«
    Zoe tat kurz so, als überlege sie. »Würde ich Sie nicht nach Ihrem Vater fragen, könnte man mir mangelnde journalistische Sorgfalt vorwerfen. Er macht sie zu einer äußerst interessanten Figur.«
    »Vor allem macht er mich zu einer Frau ohne Vater.« Nadia holte eine Packung Virginia Slims aus ihrer Handtasche und zündete sich mit einem schlicht gehaltenen goldenen Feuerzeug eine Zigarette an.
    »Sie waren an jenem Abend in Cannes?«
    »Das war ich«, sagte Nadia. »Wir haben alle einen wundervollen Abend in unserem Lieblingsrestaurant genossen. Und im nächsten Augenblick habe ich meinen Vater in den Armen gehalten, als er sterbend auf der Straße lag.«
    »Sie haben die Männer gesehen, die ihn erschossen haben?«
    »Es waren zwei«, sagte sie nickend. »Sie fuhren Motorräder, sehr schnell, sehr geschickt. Ich dachte erst, sie seien nur junge Franzosen, die in einer warmen Sommernacht ein bisschen Spaß haben wollten. Dann habe ich die Waffen gesehen. Die beiden waren offenbar Profis.« Sie zog an ihrer Zigarette und blies eine dünne Rauchfahne in Richtung Decke. »Alles danach sehe ich nur noch verschwommen.«
    »Nach Augenzeugenberichten sollen Sie laut schreiend blutige Rache geschworen haben.«
    »Vergeltung ist Beduinenart, fürchte ich«, sagte Nadia betrübt. »Die liegt mir im Blut.«
    »Sie haben Ihren Vater bewundert«, sagte Zoe.
    »Das habe ich«, sagte Nadia.
    »Er war Kunstsammler.«
    »Ein unersättlicher Sammler.«
    »Wie man hört, haben Sie diese Leidenschaft geerbt.«
    »Meine Kunstsammlung ist privat«, sagte Nadia und griff nach ihrer Kaffeetasse.
    »Nicht so privat, wie Sie vielleicht glauben.«
    Nadia hob verwundert den Kopf,

Weitere Kostenlose Bücher