Der Historiker
Versprechen, den vereinbarten Betrag zu bezahlen, hatten wir schließlich Erfolg. Helen setzte ich neben das Telefon in der Diele und wählte einen ganzen Rattenschwanz von Ziffern. Endlich sah ich, wie ihre Miene sich aufhellte. ›Es klingelt!‹ Sie lächelte mich an, wunderschön und offen. ›Meine Tante wird es nicht mögen‹, sagte sie. Dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck wieder und wurde wachsam. ›Èva?‹, sagte sie. ›Elena!‹
Ich lauschte aufmerksam und nahm an, dass die beiden Ungarisch sprachen. Ich wusste, dass das Rumänische eine romanische Sprache ist und ich somit zumindest ein paar Brocken hätte verstehen müssen. Was Helen da sagte, klang jedoch wie Pferdegetrappel, ein finno-ugrischer Sturmlauf, den ich mit meinem Zuhören auch nicht für eine Sekunde anzuhalten vermochte. Ich fragte mich, ob sie mit ihrer Familie überhaupt Rumänisch sprach oder ob dieser Teil ihres Lebens vor langer Zeit unter dem Druck, sich anzugleichen, gestorben war. Ihre Stimme hob und senkte sich, wurde von einem Lächeln und dann wieder einem Stirnrunzeln unterbrochen. Ihre Tante Éva am anderen Ende schien ihr viel zu sagen zu haben, und Helen hörte versunken zu, wieder brach dieses merkwürdige Silbengetrappel aus ihr heraus.
Meine Anwesenheit schien sie ganz vergessen zu haben, aber plötzlich hob sie den Blick zu mir und schenkte mir ein kleines, kurzes Lächeln und ein triumphierendes Nicken, als nehme das Gespräch den gewünschten Ausgang. Sie lächelte in den Hörer und hängte ein. Sofort war die Pensionswirtin bei uns, ganz offenbar voller Sorge um ihre Telefonrechnung, und ich zählte schnell die vereinbarte Summe ab, gab noch etwas hinzu und legte das Geld in ihre ausgestreckten Hände. Helen war bereits auf dem Weg zurück in ihr Zimmer und machte mir Zeichen, ihr zu folgen. Ich hielt ihre Geheimnistuerei für unnötig, aber was wusste ich schon?
›Schnell, Helen‹, stöhnte ich und setzte mich zurück auf meinen Stuhl. ›Ich sterbe vor Spannung.‹
›Gute Nachrichten‹, sagte sie ruhig. ›Ich wusste, meine Tante würde mir am Ende helfen.‹
›Was hast du ihr nur alles erzählt?‹
Sie grinste. ›Nun, ich konnte ihr am Telefon natürlich nur wenig sagen, und vor allem musste alles ganz offiziell klingen. Ich habe ihr gesagt, dass ich mit einem Kollegen in Istanbul auf Forschungsreise bin und wir fünf Tage in Budapest brauchen, um unsere Arbeit abzuschließen. Ich habe ihr erklärt, dass du ein amerikanischer Professor bist und wir zusammen einen Aufsatz schreiben.‹
›Worüber?‹, fragte ich mit Besorgnis.
›Über die Arbeitsbeziehungen im Europa unter osmanischer Besetzung.‹
›Nicht schlecht. Nur weiß ich kaum etwas darüber.‹
›Das geht schon in Ordnung.‹ Helen strich ein paar Fusseln vom Knie. ›Ich werde dich darüber ins Bild setzen.‹
›Du ähnelst ganz deinem Vater.‹ Ihre fast beiläufige Belesenheit erinnert mich plötzlich an Rossi, und meine Bemerkung war gemacht, bevor ich noch richtig darüber nachdenken konnte. Ich warf ihr einen schnellen Blick zu und fürchtete, sie könnte beleidigt sein. Es war das erste Mal, dass ich sie ganz natürlich als Rossis Tochter sah, als hätte ich den Gedanken an irgendeinem Punkt für mich akzeptiert, ohne dass es mir bewusst geworden wäre.
Helen überraschte mich damit, dass Traurigkeit in ihren Blick trat. ›Was ein guter Beweis dafür ist, dass es die Gene sind und nicht die Umwelt‹, war jedoch alles, was sie dazu sagte. ›Éva klang verärgert, besonders als ich sagte, dass du Amerikaner bist. Ich wusste, dass sie so reagieren würde, weil sie immer glaubt, ich sei zu impulsiv und gehe zu viele Risiken ein. Natürlich tue ich das. Und natürlich musste sie erst einmal verärgert sein, damit es am Telefon richtig klang.‹
›Richtig klang?‹
›Sie muss an ihren Job und ihren Status denken. Aber sie sagte, dass sie für uns etwas arrangieren wird, und ich soll sie morgen Abend wieder anrufen. Das wäre also das. Sie ist ziemlich clever, meine Tante, und sie wird zweifellos eine Möglichkeit finden. Wir werden uns Fahrkarten nach Budapest und zurück besorgen, wenn wir mehr wissen. Vielleicht fliegen wir auch.‹
Die voraussichtlichen Kosten unseres Ausflugs ließen mich innerlich aufstöhnen, und ich fragte mich, wie lange meine Mittel für unsere Jagd noch ausreichen würden, sagte aber nur: ›Sie wird ein paar Wunder bewirken müssen, um mich einfach so nach Ungarn hineinzubekommen und uns
Weitere Kostenlose Bücher