Der Historiker
unserer Pension zu treffen. Er wollte, soweit es ihm möglich war, neue Informationen bringen und auch noch einmal ins Archiv gehen, um zu hören, ob es dort etwas Neues gegeben hatte. Bis dahin, warnte er uns, sollten wir größte Vorsicht walten lassen und uns überall nach möglichen Verfolgern oder anderen Zeichen von Gefahr umsehen. Bora wollte uns zurück in unsere Pension begleiten, aber wir versicherten ihm, dass wir die Fähre auch allein nehmen könnten – sie fahre in zwanzig Minuten, sagte er. Die Boras brachten uns bis zur Eingangstür des Hauses, standen Hand in Hand am Kopf der Treppe und riefen uns Auf Wiedersehen hinterher. Ich sah ein-, zweimal zu ihnen zurück, während wir durch den Feigen- und Pappeltunnel davongingen. ›Die beiden führen eine glückliche Ehe, denke ich‹, sagte ich zu Helen und bereute es gleich wieder, denn sie ließ ihr typisches Schnaufen hören.
›Komm, Yankee‹, sagte sie. ›Wir haben noch einiges vor.‹ Normalerweise hätte ich über ihre Anrede gelacht, aber dieses Mal ließ mich etwas zu ihr hinsehen und sie mit tiefem Erschauern betrachten. Dieser merkwürdige Nachmittagsbesuch hatte einen Gedanken in mir aufkommen lassen, den ich bis zum letztmöglichen Augenblick unterdrückt hatte. Ich betrachtete Helen, als sie meinen Blick erwiderte, und die Ähnlichkeit zwischen ihren strengen und doch eleganten Zügen und dem leuchtenden, entsetzlichen Bild hinter Turgut Boras Vorhang war nicht mehr zu übersehen.
33
Als der Express nach Perpignan hinter den silbrigen Bäumen und Dächern des Ortes verschwunden war, schüttelte sich Barley. »Nun, der Kerl ist im Zug und wir nicht.«
»Ja«, sagte ich, »aber er weiß genau, wo wir sind.«
»Nicht mehr lange.« Barley marschierte zum Fahrkartenschalter, hinter dem ein alter Mann im Stehen einzuschlafen schien. Kleinlaut kam Barley Minuten später zurück. »Der nächste Zug nach Perpignan fährt nicht vor morgen früh«, berichtete er. »Und vor morgen Nachmittag gibt es keine Busverbindung zu irgendeiner anderen größeren Stadt. Es gibt nur ein Fremdenzimmer, und zwar auf einem Bauernhof einen halben Kilometer außerhalb des Dorfes. Da können wir übernachten und zum Morgenzug wieder hier sein.«
Entweder wurde ich jetzt zornig oder ich fing an zu heulen. »Barley, ich kann nicht bis morgen auf den Zug nach Perpignan warten! Wir verlieren zu viel Zeit.«
»Nun, es gibt aber sonst keine Verbindung«, sagte Barley mit Ärger in der Stimme. »Ich habe auch nach Taxis, Autos, Traktoren, Eselskarren und Möglichkeiten zum Autostopp gefragt – was soll ich sonst noch tun?«
Schweigend gingen wir durch das Dorf. Es war später Nachmittag, ein schläfriger, warmer Tag, und jeder, den wir in einer Tür oder einem Garten sahen, schien wie betäubt, als stünde er unter einem Bann. Der Bauernhof hatte ein handgemaltes Schild und einen Verkaufstisch für Eier, Käse und Wein draußen stehen. Die Frau, die herauskam und ihre Hände an der sprichwörtlichen Schürze abwischte, schien nicht überrascht, uns zu sehen. Als Barley mich als seine Schwester vorstellte, lächelte sie nett und stellte keine Fragen, obwohl wir kein Gepäck dabeihatten. Barley fragte, ob sie ein Zimmer für zwei habe, und sie sagte beim Einatmen »Oui, oui«, als spräche sie mit sich selbst. Auf dem Hof, gestampfter Boden, waren hier und da ein paar Blumen zu sehen und kratzende Hühner, und unter der Dachrinne stand eine Reihe Plastikeimer. Die steinernen Gebäude – Scheunen und Wohnhaus – gruppierten sich wie zufällig um den Hof. Wir könnten im Garten hinter dem Haus zu Abend essen, erklärte die Bäuerin, unser Zimmer ginge nach hinten, zum Garten, liege im ältesten Teil des Hauses.
Wir folgten unserer Gastgeberin schweigend unter den niedrigen Deckenbalken der Küche hindurch in einen kleinen Flügel des Hauses, in dem früher wahrscheinlich einmal eine Küchenhilfe geschlafen hatte. In unserem Zimmer standen zu meiner Erleichterung zwei schmale einzelne Betten links und rechts an der Wand, dazu gab es eine große hölzerne Kommode. Toilette und Waschbecken im Bad gleich nebenan waren hübsch angemalt. Alles war makellos sauber, die Vorhänge sahen frisch gestärkt aus, die alte Handarbeit an der Wand war sonnenverblichen. Ich ging ins Bad und wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser, während Barley bezahlte.
Als ich wieder herauskam, schlug Barley vor, spazieren zu gehen. Die Frau würde mit dem Essen erst in einer
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