Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
Vom Netzwerk:
ihm ihre Theorie, dass diese Darstellungen auf einen Ort hindeuten: das Grab des Pfählers.
    Zusammen blätterten wir durch viele, viele Seiten zur Geschichte Istanbuls, sahen uns alte Drucke und die Notizbücher an, in die er etliches überträgt, das er in Bibliotheken und Museen findet. Er ist äußerst fleißig, dieser Selim Aksoy. Er hat keine Frau, keine Familie, keine anderen Interessen. Die Geschichte Istanbuls verschlingt ihn ganz. Bis spät haben wir gearbeitet, weil seine private Bibliothek so groß ist, dass er selbst nie bis auf ihren Grund getaucht ist und mir nicht sagen konnte, worauf wir stoßen mochten. Am Ende dann fanden wir etwas Merkwürdiges: einen Brief, abgedruckt in einem Band mit der Korrespondenz zwischen den Ministern am Hof des Sultans und vielen Außenposten des Reiches im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert. Selim Aksoy sagte, dass er das Buch von einem Buchhändler in Ankara gekauft habe. Gedruckt wurde es im neunzehnten Jahrhundert, zusammengestellt von einem unserer Historiker hier in Istanbul, der sich für alle Dokumente aus der Zeit damals interessierte. Selim sagte mir, er habe nie ein weiteres Exemplar dieses Buches gesehen.‹
    Ich wartete geduldig, weil ich die Bedeutung all dieser Hintergrundinformationen begriff und Turgut Boras Sorgfalt spürte. Für einen Literaturwissenschaftler war er ein verdammt guter Historiker.
    ›Nein, Selim weiß von keiner anderen Ausgabe dieses Buches, aber er glaubt dennoch, dass die Briefe darin keine – wie sagen Sie? – Fälschungen sind, denn er hat etliche von ihnen im Original gesehen, viele davon in dem Archiv, in dem wir gestern waren. Auch er liebt dieses Archiv sehr, wissen Sie, und ich treffe ihn dort oft.‹
    Bora lächelte. ›Nun, in diesem Buch, als unsere Augen sich schon vor Müdigkeit zu schließen drohten und die Dämmerung kurz vor dem Anbruch stand, da fanden wir einen Brief, der von gewisser Bedeutung für Ihre Suche sein könnte. Der Sammler, der den Band zusammengestellt hat, glaubt, er stamme aus dem späten fünfzehnten Jahrhundert. Ich habe ihn für Sie übersetzt.‹
    Turgut zog ein Notizblatt aus seiner Aktenmappe. ›Der frühere Brief, auf den sich dieser hier bezieht, ist leider nicht in dem Band. Gott weiß, er existiert wahrscheinlich nirgends mehr, sonst würde ihn mein Freund Selim vor langer Zeit gefunden haben.‹
    Er räusperte sich und las laut vor: ›An den Höchstgeehrten Rumeli Kadiasker… ‹ Er machte eine Pause. ›Das war der Vorsitzende Richter am Militärgericht für den Balkan, wissen Sie.‹ Ich wusste es nicht, aber nickte, und er fuhr fort: ›Euer Ehren, ich habe nun die weitere Untersuchung durchgeführt, um die Ihr gebeten habt. Einige der Mönche waren sehr hilfreich, nachdem wir uns auf eine Summe geeinigt hatten, und ich habe das Grab selbst untersucht. Was sie mir zu Beginn zugetragen haben, ist wahr. Weitere Erklärungen können sie nicht bieten, sondern wiederholen nur immer ihre tiefe Angst. Ich rate zu einer neuen Untersuchung der Angelegenheit in Istanbul. Ich habe in Snagov zwei Beobachter zurückgelassen, die allen verdächtigen Aktivitäten nachgehen sollen. Wundersamerweise hat es hier keine Fälle der Seuche gegeben. Im Namen Allahs bleibe ich Ihnen ergeben.‹
    ›Und der Unterzeichner?‹, fragte ich. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Trotz der durchwachten Nacht war ich hellwach.
    ›Es gibt keine Unterschrift. Selim denkt, dass sie vielleicht vom Original abgetrennt wurde, entweder aus Versehen oder um den Briefschreiber zu schützen.‹
    ›Oder vielleicht wurde er aus Geheimhaltungsgründen auch gar nicht erst unterzeichnet‹, überlegte ich. ›Und sonst gibt es in dem Buch keine Briefe, die sich auf die Sache beziehen?‹
    ›Nicht einen. Keine vorhergehenden, keine nachfolgenden. Es ist ein Fragment, und da Rumeli Kadiasker ein sehr wichtiger Mann war, muss das eine ernst zu nehmende Angelegenheit gewesen sein. Nach dem Fund haben wir die anderen Bücher und Unterlagen meines Freundes noch einmal gründlich studiert, aber nichts bezog sich darauf. Mr Aksoy sagte, er kann sich an das Wort Snagov aus keinem anderen Bericht über die Geschichte Istanbuls erinnern. Er hat die Briefe vor Jahren gelesen, und meine Bemerkung dazu, wo Dracula von seinen Anhängern begraben worden sein soll, machte ihn darauf aufmerksam, als wir die Papiere durchgingen. Also hat er ihn vielleicht doch anderswo gesehen und kann sich nur nicht erinnern.‹
    ›Mein Gott‹, sagte ich

Weitere Kostenlose Bücher