Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
Vom Netzwerk:
wohl etwas Ähnliches, wobei er eine Mischung aus Türkisch und Englisch zu benutzen schien. Turgut sah zwischen uns hin und her, war eindeutig perplex und lachte dann, als ich ihm die Situation erklärte. Staunend schüttelte er den Kopf und sagte nur: ›Zufälle, Zufälle.‹
    ›Können wir gehen?‹ Mr Aksoy lehnte Turguts Einladung, sich zu setzen, mit einer Handbewegung ab.
    ›Nicht ganz‹, sagte ich. ›Wenn es Ihnen nichts ausmacht, sehe ich eben, wie es Miss Rossi geht und wann sie sich zu uns gesellen kann.‹
    Ich lief nach oben und direkt in Helen hinein, weil ich immer gleich drei Stufen auf einmal nahm. Sie packte das Geländer, um nicht hinzufallen. ›Autsch‹, sagte sie ärgerlich. ›Was in drei Teufels Namen soll das denn?‹ Sie rieb sich den Ellbogen, und ich versuchte, das Gefühl ihres schwarzen Kostüms und ihrer festen Schulter abzuschütteln, die mir über den Arm gerieben hatten.
    ›Ich wollte nach dir sehen‹, sagte ich. ›Es tut mir Leid – habe ich dir wehgetan? Ich habe mir nur plötzlich Sorgen gemacht, weil ich dich so lange allein gelassen hatte.‹
    ›Es ist alles in Ordnung‹, sagte sie schon wieder milder. ›Ich hatte ein paar Einfälle. Hast du Professor Bora schon gesehen?‹
    ›Er ist längst da‹, berichtete ich, ›und er hat einen Freund mitgebracht.‹
    Helen erkannte den jungen Buchhändler ebenfalls, und sie unterhielten sich ziemlich zögerlich, während Turgut mit Mr Erozan telefonierte und in den Hörer brüllte. ›Es hat einen Regenguss gegeben‹, erklärte er, als er zu uns zurückkam. ›Die Verbindungen werden in diesem Teil der Stadt zu einer etwas haarigen Angelegenheit, wenn es regnet. Mein Freund wird uns direkt im Archiv treffen. Er klang etwas krank, womöglich hat er sich erkältet, aber er sagte, er komme sofort. Möchten Sie einen Kaffee, Madam? Ich werde Ihnen auf dem Weg etwas Sesamgebäck kaufen.‹ Zu meinem Missvergnügen küsste er Helen die Hand, und wir machten uns gleich auf den Weg.
    Ich hoffte, Turgut unterwegs beiseite nehmen zu können, um ihm unter vier Augen vom Auftauchen des hinterhältigen Bibliothekars zu erzählen. Vor einem Fremden wollte ich damit nicht herausrücken, besonders nicht vor einem, von dem Turgut sagte, er habe wenig Sympathie für Vampirjagden. Turgut war jedoch schon nach ein paar Häusern tief im Gespräch mit Helen versunken, und ich fühlte mich doppelt schlecht, weil ich sah, wie sie ihm ihr seltenes Lächeln schenkte, und wusste, dass ich eine notwendige Information vor ihm zurückhielt, die ich ihm gleich hätte geben sollen. Mr Aksoy ging neben mir und warf mir hin und wieder einen Blick zu, die meiste Zeit aber schien er so sehr in Gedanken versunken, dass ich das Gefühl hatte, ihn besser nicht mit Beobachtungen über die Schönheit der morgendlichen Straßen zu stören.
    Die Eingangstür der Bibliothek war unverschlossen, und Turgut sagte mit einem Lächeln, er habe gewusst, dass sein Freund nicht lange brauchen werde. Wir traten schweigend ein, wobei Turgut Helen galant den Vortritt ließ. Die kleine Eingangshalle mit den erlesenen Mosaiken und dem geöffnet daliegenden Besucherbuch, das auf die ersten Eintrage des Tages wartete, war menschenleer. Turgut hielt Helen die Tür zum Lesesaal auf, und sie hatte den gedämpften, dämmrigen Raum kaum betreten, als ich sie unvermittelt laut einatmen hörte und sah, wie sie so plötzlich stehen blieb, dass unser Freund hinter ihr fast gestolpert wäre. Bevor ich noch sehen konnte, was da geschah, ließ mir etwas die Haare im Nacken buchstäblich zu Berge stehen und trieb mich ungestüm an dem Professor vorbei an Helens Seite.
    Der Bibliothekar, der auf uns wartete, stand bewegungslos mitten im Raum und hatte uns sein Gesicht zugewandt, als warte er ungeduldig auf unser Eintreffen. Es war jedoch nicht der freundliche Mann, den wir erwartet hatten, und er brachte uns auch nicht den Holzkasten, den wir erneut in Augenschein nehmen wollten, oder einen Stapel staubiger Manuskripte zur Geschichte Istanbuls. Sein Gesicht war blass, als sei alles Leben aus ihm gewichen – exakt so, als sei keinerlei menschliches Leben mehr in ihm. Das war nicht Turguts Freund, sondern unser toter Bibliothekar, wachsam, helläugig, die Lippen unnatürlich rot, und sein hungriger Blick brannte uns entgegen. Als sein Blick auf mich fiel, pochte es schmerzvoll in meiner Hand, die er bei unserem Kampf zu Hause so heftig zurückgebogen hatte. Ihn dürstete nach etwas. Aber selbst

Weitere Kostenlose Bücher