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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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Sultan Mehmed II. war, der Eroberer von Konstantinopel.‹
    Schauer liefen mir über den Rücken. ›Was glauben Sie, was das für eine Bedeutung haben könnte? Was Dracula angeht, meine ich.‹
    ›Nun, mein Freund, für mich ist es sehr interessant, dass die Legende von Vlad Dracula sogar gegen – sagen wir – 1590 bis ins protestantische England vordrang – dass sie so gewichtig war. Weiter, wenn Tashkani tatsächlich Istanbul meint, zeigt das, wie real Draculas Präsenz hier in den Tagen Mehmeds war. Mehmed eroberte die Stadt 1453. Nur sechs Jahre nach Entlassung des jungen Dracula aus seiner türkischen Gefangenschaft in Anatolien – und es gibt keinen sicheren Beweis, dass er zu seinen Lebzeiten jemals in unsere Region zurückgekehrt ist, auch wenn ein paar Gelehrte glauben, er habe dem Sultan seinen Tribut persönlich entrichtet. Ich glaube nicht, dass sich das beweisen lässt. Meiner Theorie nach hat er als Vermächtnis hier den Vampirismus zurückgelassen, wenn nicht zu seinen Lebzeiten, dann nach seinem Tod. Aber‹ – Bora seufzte – ›die Grenze zwischen Literatur und Geschichte ist oft eine schwankende, und ich bin kein Historiker.‹
    ›Sie sind ein ausgezeichneter Historiker‹, sagte ich bescheiden. ›Ich bin überwältigt, wie viele historische Spuren Sie verfolgt haben, und das so erfolgreich.‹
    ›Sie sind zu freundlich, mein junger Kollege. Aber zurück zum Thema. Ich arbeitete also eines Abends an diesem Aufsatz – der dann nie veröffentlicht wurde, weil der Redakteur der Zeitschrift, an die ich ihn schickte, befand, der Inhalt enthalte zu viel Aberglauben –, ich arbeitete bis in den Abend hinein, und nach drei Stunden im Archiv ging ich in ein Restaurant gegenüber, um einen kleinen börek zu essen. Haben Sie schon einmal einen börek gegessen?‹
    ›Noch nicht‹, sagte ich.
    ›Sie müssen es möglichst bald einmal probieren: Börek ist eine unserer köstlichen türkischen Spezialitäten. Ich ging also in das Restaurant. Es war schon dunkel draußen, denn wir hatten Winter. Ich setzte mich an einen Tisch, und während ich wartete, zog ich Professor Rossis Brief aus meinen Unterlagen heraus und las ihn noch einmal. Wie ich bereits erwähnte, war der Brief erst seit ein paar Tagen in meinem Besitz, und ich war höchst ratlos, was ich davon halten sollte. Der Kellner brachte mir mein Essen, und zufällig sah ich ihm ins Gesicht, als er den Teller hinstellte. Sein Blick war gesenkt, aber es kam mir so vor, als ob er sich plötzlich den Brief und den Briefkopf mit Rossis Namen ansah. Er warf ein, zwei scharfe Blicke darauf, dann schien er jeden Ausdruck aus seinem Gesicht zu verbannen. Als er hinter mich trat, um einen weiteren Teller auf den Tisch zu stellen, war ich sicher, dass er den Brief über meine Schulter erneut musterte.
    Ich konnte mir sein Verhalten nicht erklären und fühlte mich äußerst unwohl, so dass ich den Brief zusammenfaltete und mich meinem Essen widmete. Der Kellner ging ohne ein Wort davon, und ich konnte nicht umhin, ihn zu beobachten, wie er sich durch das Restaurant bewegte. Er war groß, breitschultrig und schwer, sein dunkles Haar trug er aus dem Gesicht gekämmt, und er hatte große, finstere Augen. Man hätte ihn gut aussehend nennen können, wäre da nicht etwas sehr – wie sagen Sie? – Sinistres an ihm gewesen. Ewig lang schien er mich völlig zu ignorieren, selbst noch, als ich mit meinem Essen fertig war. Ich nahm ein Buch heraus, um ein paar Minuten zu lesen, und plötzlich stand er wieder an meinem Tisch und stellte eine Tasse dampfenden Tee vor mich hin. Ich hatte keinen Tee bestellt und war überrascht. Vielleicht war es eine Art Geschenk – oder ein Fehler. Ihr Tee, sagte er, als er ihn auf den Tisch stellte. Ich habe dafür gesorgt, dass er sehr heiß ist.
    Damit sah er mir direkt in die Augen, und ich kann Ihnen nicht sagen, wie Furcht einflößend dieses Gesicht auf mich wirkte. Es war blass, fast gelb, in seiner ganzen Beschaffenheit, so als wäre er – wie sagen Sie? – innerlich bereits ein Wrack. Seine Augen waren dunkel und hell zugleich, fast wie die Augen eines Tieres, die Brauen darüber kräftig. Sein Mund wirkte wie rotes Wachs, und seine Zähne waren sehr weiß und lang – sie sahen in diesem kranken Gesicht seltsam gesund aus. Er lächelte, als er sich mit dem Tee vorbeugte. Sein fremdartiger Geruch ließ Übelkeit in mir aufsteigen, und mir wurde schwindlig. Sie mögen lachen, mein Freund, aber der Geruch glich einem,

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