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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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den ich eigentlich, unter anderen Umständen, immer gemocht hatte. Es war der Geruch alter Bücher. Sie kennen diesen Geruch nach Pergament, Leder und… noch etwas…?‹
    Ich wusste, was er meinte, und mir war nicht nach Lachen zu Mute.
    ›Eine Sekunde später schon war er wieder verschwunden und bewegte sich ohne jede Eile Richtung Küche, und ich blieb mit dem Gefühl zurück, dass er mir etwas hatte zeigen wollen, vielleicht sein Gesicht. Er hatte gewollt, dass ich ihn sorgfältig betrachtete, wobei es keinen von mir benennbaren Grund gab, der meine Furcht gerechtfertigt hätte und auf den ich den Finger hätte legen können.‹ Turgut wirkte selbst blass, als er sich auf seinem mittelalterlichen Stuhl zurücklehnte. ›Um meine Nerven zu beruhigen, gab ich etwas Zucker in meinen Tee, nahm meinen Löffel und rührte um. Ich wollte mich mit dem heißen Getränk beruhigen, aber dann passierte etwas sehr, sehr Seltsames.‹
    Seine Stimme verstummte, als bedauerte er, mit der Geschichte angefangen zu haben. Ich kannte das Gefühl nur zu gut und nickte ihm aufmunternd zu. ›Bitte, erzählen Sie weiter.‹
    ›Es mag komisch scheinen, dass ich das jetzt sage, aber was ich erzähle, ist die Wahrheit. Der Dampf erhob sich aus der Tasse – Sie wissen, wie Dampf aufsteigt, wenn man etwas Heißes umrührt? Ich rührte also meinen Tee um, und der Dampf stieg auf und bildete über der Tasse einen kleinen wirbelnden Drachen. Der Drache hielt sich ein paar Sekunden und verschwand wieder. Ich habe ihn ganz deutlich mit meinen eigenen Augen gesehen. Sie können sich vorstellen, wie ich mich fühlte und mir einen Augenblick lang selbst nicht traute. Dann packte ich schnell Papiere und Buch zusammen und ging aus dem Lokal.‹
    Mein Mund war trocken. ›Und haben Sie den Kellner je wieder gesehen?‹
    ›Niemals. Zunächst habe ich das Restaurant wochenlang nicht wieder betreten, aber dann war die Neugier stärker, und ich ging hinein, wieder nach Einbruch der Dunkelheit, aber da war keine Spur von ihm. Ich fragte sogar einen der anderen Kellner nach ihm, aber der sagte, der Mann habe nur kurz dort gearbeitet, und er wusste nicht einmal seinen Nachnamen. Mit Vornamen hatte er Akmar geheißen. Nie wieder habe ich etwas von ihm gesehen.‹
    ›Und Sie dachten, das Gesicht, das Sie sahen, war…‹ Ich verstummte.
    ›Es war Grauen erregend. Mehr hätte ich Ihnen damals nicht dazu sagen können. Aber als ich heute das Gesicht dieses Bibliothekars sah, den Sie, wie Sie sagen, hierher importiert haben, hatte ich das Gefühl, es bereits zu kennen. Es ist nicht einfach nur der Ausdruck des Todes. Da ist etwas an diesem Ausdruck…‹ Er wandte sich unruhig um und sah zu der kleinen Nische mit dem Porträt hinter dem Vorhang hinüber. ›Was mir an Ihrer Geschichte einen Schlag versetzt, ist, dass dieser amerikanische Bibliothekar die Stufen seiner seelischen Verdammnis noch weiter hinabgestiegen ist, seit Sie ihn das letzte Mal gesehen haben.‹
    ›Was meinen Sie damit?‹
    ›Als er Miss Rossi in der Bibliothek angriff, konnten Sie ihn niederschlagen. Aber mein Freund aus dem Archiv, den er heute Morgen angegriffen hat, sagt, er sei sehr stark gewesen, und Mr Erozan ist nicht unbedingt schwächer als Sie. Und dieser Teufel, ach… er konnte eine beträchtliche Menge Blut aus ihm saugen. Dabei war dieser Vampir draußen im Tageslicht, als wir ihn sahen, er kann also noch nicht völlig zu einem Untoten geworden sein. Ich nehme an, dass der Kreatur entweder bei Ihnen drüben oder hier in Istanbul ein zweites Mal das Leben ausgesaugt wurde, und wenn der Mann hier irgendwelche Verbindungen hat, wird er schon bald seine dritte Weihung erhalten und für immer zu einem Untoten werden.‹
    ›Ja‹, sagte ich. ›Aber solange wir nicht wissen, wo er ist, können wir gegen den Kerl nichts unternehmen. Sie werden Ihren Freund also sehr sorgfältig schützen müssen.‹
    ›Das werde ich‹, sagte Turgut mit bitterer Entschlossenheit und verfiel für eine Weile in Schweigen. Schließlich wandte er sich seinem Bücherregal zu und zog ein großes Album mit lateinischen Buchstaben auf dem Deckel heraus. ›Rumänisch‹, erklärte er mir. ›Das hier sind Bilder von Kirchen aus Transsilvanien und der Walachei, die von einem erst kürzlich verstorbenen Kunsthistoriker zusammengestellt wurden. In seiner Sammlung sind viele Bilder von Kirchen, die leider später im Krieg zerstört wurden. Das macht dieses Buch sehr wertvoll.‹ Er legte mir den Band

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