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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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Ausdruck von Missvergnügen in ihrem Gesicht aufblitzen – oder war es sogar Abscheu? Unvermittelt kam sie auf uns zu, als wollte sie einschreiten.
    ›Wie geht es Ihnen, Géza?‹ Sie schüttelte seine Hand, formell und ein wenig kühl, bevor ich überhaupt Zeit hatte, den Mann zu begrüßen.
    ›Wie gut, Sie zu sehen, Elena‹, sagte Professor Jozsef und machte eine kleine Verbeugung vor ihr, und ich hörte einen Unterton in seiner Stimme, der Spott, aber auch etwas anderes bedeuten mochte. Ich fragte mich, ob sie tatsächlich nur mir zum Gefallen Englisch sprachen.
    ›Ebenso‹, sagte sie flach. ›Erlauben Sie mir doch, Ihnen einen Kollegen vorzustellen, mit dem ich in Amerika zusammenarbeite…‹
    ›Wie schön, Sie kennen zu lernen‹, sagte er und schenkte mir ein Lächeln, das seine feinen Züge erhellte. Er war größer als ich, hatte dichtes braunes Haar und hielt sich wie ein Mann, der seine eigene Männlichkeit liebt. Er würde sich gut als Reiter machen, der mit seinen Schafherden durch die Ebenen galoppiert, dachte ich. Sein Handschlag war herzlich, und mit der freien Hand klopfte er mir, mich willkommen heißend, auf die Schulter. Ich kam nicht darauf, was Helen gegen ihn haben mochte; dass es so war, stand jedoch außer Zweifel. ›Und Sie geben uns morgen die Ehre eines Vortrags? Das ist wunderbar‹, sagte er. Dann hielt er kurz inne. ›Aber mein Englisch ist nicht so gut. Sollten wir lieber Französisch sprechen? Deutsch?‹
    ›Ihr Englisch ist weit besser als mein Französisch oder Deutsch, da bin ich sicher‹, sagte ich.
    ›Sie sind sehr freundlich.‹ Sein Lächeln war eine Blumenwiese. ›Wenn ich es recht verstehe, ist die osmanische Herrschaft in den Karpaten Ihr Spezialgebiet?‹
    Neuigkeiten sprechen sich hier schnell herum, dachte ich. Es war ganz wie zu Hause. ›Äh, ja‹, stimmte ich ihm zu. ›Wobei ich sicher bin, dass ich an Ihrer Fakultät noch eine Menge zum Thema lernen kann.‹
    ›Sicher nicht‹, murmelte er höflich. ›Aber ich habe mich selbst ein wenig damit beschäftigt und würde mich gern mit Ihnen darüber unterhalten.‹
    ›Professor Jozsefs Interessengebiet ist weit gefächert‹, warf Helen ein. Ihr Ton hätte heißes Wasser zum Gefrieren gebracht. Das war alles sehr verwirrend, aber ich machte mir klar, dass es in allen akademischen Fachbereichen unter der Oberfläche brodelte, wenn es nicht gar zum offenen Krieg kam, und dass diese hier da sicher keine Ausnahme bildete. Bevor ich noch etwas Versöhnliches sagen konnte, drehte sich Helen abrupt zu mir. Professor, wir müssen unbedingt zu unserem nächsten Treffens sagte sie. Eine Sekunde lang wusste ich nicht, was sie meinte, aber sie schob ihre Hand fest unter meinen Arm.
    ›Oh, ich sehe, dass Sie zu tun haben.‹ Professor Jozsef war das Bedauern in Person. ›Vielleicht können wir die osmanische Frage ein anderes Mal diskutieren? Ich würde mich freuen, Ihnen ein bisschen von unserer Stadt zeigen zu können, Professor, oder Sie zum Essen einzuladen…‹
    ›Der Professor ist während der Tagung bereits völlig ausgebucht‹, erklärte Helen ihm. Ich schüttelte dem Mann so herzlich die Hand, wie es ihr eisiger Blick erlaubte. Dann nahm er ihre freie Hand in seine.
    ›Es ist eine Freude, Sie zurück in Ihrer Heimat zu sehen‹, sagte er zu Helen, verbeugte sich und küsste ihr die Hand. Helen entzog sich ihm, aber ein seltsamer Ausdruck huschte über ihr Gesicht. Die Geste hatte sie irgendwie nicht kalt gelassen, entschied ich, und zum ersten Mal missfiel mir dieser charmante ungarische Historiker. Helen steuerte mich zurück zu Professor Sandor, wo wir uns entschuldigten und noch einmal unserer freudigen Erwartung der Vorträge am nächsten Tag Ausdruck gaben.
    ›Und wir freuen uns bereits auf Ihren Vortrag.‹ Mit beiden Händen umfasste er meine. Die Ungarn waren unglaublich herzliche Menschen, dachte ich mit einer Wärme, die nur zum Teil dem Getränk in meinen Adern zuzuschreiben war. Solange ich alle ernsthaften Gedanken an meinen Vortrag nach hinten hinausschob, ging es mir bestens. Helen griff nach meinem Arm, und ich hatte das Gefühl, sie ließ den Blick noch einmal suchend über die Anwesenden streifen, bevor wir hinausgingen.
    ›Was sollte das alles bedeuten?‹ Die Abendluft war erfrischend kühl, und ich fühlte mich besser als je zuvor. ›Deine Genossen sind die herzlichsten Menschen, die ich je getroffen habe, glaube ich, aber ich hatte den Eindruck, dass du Professor Jozsef am

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