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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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neugotischen Türme und die Kuppel des Parlaments und auf der gegenüberliegenden Seite die immensen, baumumstandenen Flügel des königlichen Schlosses und die Türme mittelalterlicher Kirchen. Und in der Mitte von allem dieser breite graugrüne Fluss, die Oberfläche vom Wind fein aufgeraut und glitzernd in der Sonne. Ein riesiger blauer Himmel wölbte sich über Kuppeln, Monumenten, Kirchen und tauchte das Wasser in wechselnde Farben.
    Ich hatte damit gerechnet, von Budapest fasziniert zu sein, es zu bewundern, nicht, von Ehrfurcht ergriffen zu werden. Diese Stadt hatte einen ganzen Reigen von Invasoren und Verbündeten in sich aufgenommen, von den Römern bis zu den Österreichern – oder den Sowjets, dachte ich, und erinnerte mich an Helens bittere Kommentare –, und doch war sie anders geblieben. Sie schien nicht wirklich westlich, aber auch nicht östlich wie Istanbul, oder gar, angesichts all der gotischen Architektur, nordeuropäisch. Durch mein kleines Taxifenster starrte ich auf einen Glanz, der auch ein ganz eigener war. Helen sah ebenfalls hinaus und blickte dann zu mir herüber. Einiges von meiner Erregung muss auf meinem Gesicht zu sehen gewesen sein, weil sie in Lachen ausbrach. ›Wie ich sehe, gefällt dir unsere kleine Stadt‹, sagte sie, und ich hörte den eifrigen Stolz hinter ihrem Sarkasmus. Dann fügte sie leise hinzu: ›Dracula gehört auch zu uns hier, wusstest du das? 1462 hatte ihn König Matthias Corvinus eingesperrt, weil er die ungarischen Interessen in Transsilvanien bedrohte. Corvinus behandelte ihn aber offenbar mehr wie einen Gast als einen Gefangenen und gab ihm sogar ein Mitglied der ungarischen Königsfamilie zur Frau, obwohl niemand genau weiß, wer diese Frau war. Dracula zeigte seine Dankbarkeit, indem er zum Katholizismus übertrat, und man erlaubte ihm, eine Zeit lang in Pest zu leben. Aber sobald er freigelassen würde…‹
    ›Ich kann es mir vorstellen‹, sagte ich. ›Er ging schnurstracks zurück in die Walachei, bestieg den Thron und widerrief seinen Übertritt zum Katholizismus.‹
    ›Ja, so ähnlich‹, gab Helen zu. ›Du entwickelst ein Gefühl für unseren Freund. Mehr als alles andere wollte er wieder auf den Thron der Walachei und dort auch bleiben.‹
    Zu bald schon beschrieb das Taxi einen Bogen und fuhr zurück in den alten Teil von Pest, weg vom Fluss, aber es gab noch mehr Wunder, die ich anstarren konnte, und das tat ich ohne jede Scham. Es gab Kaffeehäuser mit Baikonen, die den Glanz Ägyptens und Assyriens nachahmten, autofreie, mit tatkräftig wirkenden Menschen bevölkerte Straßen, die gesäumt waren von eisernen Laternen, Mosaiken und Skulpturen, Engeln und Heiligen in Marmor und Bronze, Königen und Kaisern sowie Musikanten in weißen Hemden, die an den Straßenecken Violine spielten. ›Da sind wir‹, sagte Helen plötzlich. ›Das ist das Universitätsviertel, und dort ist die Unibibliothek.‹ Ich bog den Kopf nach einem schönen klassizistischen Gebäude aus gelbem Stein. ›Wir werden sie besuchen, wenn wir die Gelegenheit dazu haben. Ich würde gern etwas nachsehen. Und dort ist unser Hotel, gleich bei der Magyar utca – für dich die Magyarstraße. Ich muss dir eine Karte besorgen, damit du nicht verloren gehst.‹
    Der Fahrer stellte unser Gepäck vor der eleganten patrizischen Fassade aus grauem Stein ab, und ich reichte Helen die Hand, um ihr aus dem Auto zu helfen. ›Ich habe es mir doch gedacht‹, sagte sie mit einem Schnaufen. ›Sie benutzen dieses Hotel immer für Kongresse.‹
    ›Auf mich macht es einen ganz guten Eindruck‹, sagte ich.
    ›Oh, schlecht ist es nicht. Dir wird besonders die Wahlmöglichkeit zwischen kaltem und kaltem Wasser gefallen und das Kantinenessen.‹ Helen bezahlte den Fahrer mit einer Auswahl von großen Silber- und Kupfermünzen.
    ›Ich dachte, die ungarische Küche sei wunderbar‹, sagte ich tröstend. ›Ich bin sicher, das habe ich irgendwo gehört. Gulasch und Paprika und so weiter.‹
    Helen verdrehte die Augen. ›Alle Leute sagen immer sofort Gulasch, wenn sie Ungarn hören. Genau wie jeder Dracula sagt, wenn man von Transsilvanien spricht.‹ Sie lachte. ›Achte einfach nicht auf das, was es im Hotel zu essen gibt. Warte, bis wir bei meiner Tante oder meiner Mutter essen, dann können wir über die ungarische Küche reden.‹
    ›Ich dachte, deine Mutter und deine Tante wären Rumäninnen‹, wandte ich ein und bedauerte es gleich – ihr Gesicht erstarrte.
    ›Glaub, was du willst,

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