Der Historiker
mit den Menschen über die Burg zu sprechen. Ich fragte ihn, wohin er gehen werde, wenn er das Dorf in fünf Tagen verließe. Er sagte, dass er in ein Land wolle, das Griechenland heiße – von dem ich schon gehört hatte –, und dann zurück in sein eigenes Dorf in seinem eigenen Land. Er zeigte mir, wo seine Universität war – ich wusste nicht, was er meinte –, und schrieb ihren Namen in die Erde. Ich erinnere mich noch an die Buchstaben: OXFORD. Ich schrieb sie, später, selbst ein paarmal auf und betrachtete sie. Es war das seltsamste Wort, das ich je gesehen hatte.
Plötzlich wurde mir bewusst, dass er bald schon abreisen und ich ihn nie wieder sehen würde, oder auch nur irgendjemanden wie ihn, und meine Augen füllten sich mit Tränen. Wegen der ärgerlichen Kerle im Dorf hatte ich noch nie geweint, und ich hatte auch nicht weinen wollen, aber meine Tränen wollten mir nicht gehorchen und rannen mir nur so über die Wangen. Er sah sehr bekümmert aus, zog ein weißes Taschentuch aus dem Jackett und gab es mir. Was war denn? Ich schüttelte den Kopf. Er erhob sich langsam und reichte mir seine Hand, um mir hochzuhelfen wie schon am Abend zuvor. Als ich mich aufrichtete, stolperte ich und fiel ihm in die Arme, ohne es zu wollen, und er hielt mich, und wir küssten uns. Dann drehte ich mich um und rannte durch den Wald. Auf dem Pfad angelangt, sah ich mich um. Er stand da, unbeweglich wie ein Baum, und blickte mir nach. Ich rannte den ganzen Weg bis ins Dorf, lag die Nacht über schlaflos da und hielt sein Taschentuch in der Hand versteckt.
Am nächsten Abend war er wieder am selben Platz, als hätte er sich keinen Meter von der Stelle bewegt, wo ich ihn zurückgelassen hatte. Ich rannte zu ihm, und er öffnete die Arme und umfing mich. Als wir einander nicht mehr küssen konnten, breitete er sein Jackett auf den Boden aus, und wir legten uns darauf. In jener Stunde lernte ich Moment für Moment, was Liebe bedeutete. Aus der Nähe waren seine Augen blau wie der Himmel. Er steckte Blumen in meine Zöpfe und küsste meine Finger. So viele Dinge, die er tat, überraschten mich, und auch Dinge, die ich tat, und ich wusste, es war falsch – Sünde –, aber ich spürte, wie sich uns das Glück des Himmels eröffnete.
Es gab noch drei Nächte, bis er ging. Jeden Abend trafen wir uns früher. Ich erzählte meiner Mutter und meinem Vater, was mir auch als Entschuldigung einfiel, und kam jedes Mal mit Kräutern aus dem Wald, als wäre ich unterwegs gewesen, um sie zu sammeln. Jeden Abend beteuerte mir Bartolomeo, dass er mich liebe, und bettelte mich an, mit ihm zu kommen, wenn er das Dorf verließ. Ich wollte so gern, aber ich hatte Angst vor der großen Welt, aus der er kam, und konnte mir nicht vorstellen, wie ich meinem Vater entkommen sollte. Jeden Abend fragte ich ihn, warum er nicht bei mir im Dorf bleiben könne, aber er schüttelte den Kopf und sagte, er müsse nach Hause und zu seiner Arbeit zurück.
Am letzten Abend, bevor er das Dorf verließ, fing ich an zu weinen, kaum dass wir einander berührten. Er hielt mich fest und küsste mein Haar. Nie hatte ich einen Mann getroffen, der so sanft und freundlich war. Als ich aufhörte zu weinen, zog er einen kleinen silbernen Ring mit einem Siegel von seinem Finger. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube heute, es war das Siegel seiner Universität. Er trug ihn am kleinen Finger der linken Hand. Er zog ihn herunter und steckte ihn auf meinen Ringfinger. Dann bat er mich, ihn zu heiraten. Er musste sein Wörterbuch studiert haben, denn ich verstand ihn sofort.
Zuerst schien mir der Gedanke so unmöglich, dass ich gleich wieder zu weinen begann – ich war sehr jung –, aber dann willigte ich ein. Er machte mir klar, dass er in vier Wochen zurückkommen werde. Er werde nach Griechenland fahren, um dort etwas zu erledigen – was, konnte ich nicht verstehen. Dann wollte er zurückkommen und meinem Vater etwas Geld geben, um ihn glücklich zu machen. Ich versuchte zu erklären, dass ich keine Mitgift hätte, aber er wollte nicht darauf hören. Mit einem Lächeln zeigte er mir den Dolch und die Münze, die ich ihm gegeben hatte, und dann legte er die Hände um mein Gesicht und küsste mich.
Ich hätte voller Glück sein sollen, aber ich hatte das Gefühl, dass böse Geister um uns waren, und fürchtete, dass etwas passieren würde, das ihn von seiner Rückkehr abhielte. Jeder einzelne Augenblick jenes Abends war bittersüß, weil ich ihn für den letzten
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