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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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zu graben, und da drüben…« Er führte mich hinunter zu einem Platz nahe der Eingangstür und zog einen weiteren Teppich zur Seite. »Hier haben wir eine zweite Platte gefunden, eine identische. « Ich starrte darauf hinab. Die Platte war tatsächlich von gleicher Größe und Form wie die andere, dazu ebenso ungeschmückt. »Also haben wir hier auch gegraben«, erklärte Georgescu und klopfte darauf.
    » Und gefunden haben Sie…?«
    »Oh, ein sehr hübsches Skelett.« Er berichtete das mit offensichtlicher Befriedigung. »In einem Sarg, auf dem noch ein Teil des Leichentuchs lag – erstaunlich nach fünf Jahrhunderten. Das Leichentuch war von königlichem Purpur mit Goldstickerei, und das Skelett drinnen befand sich in gutem Zustand. Schön gekleidet in purpurnem Brokat und mit dunkelroten Ärmeln. Das Wunderbarste war, dass wir an einen der Ärmel einen kleinen Ring genäht fanden. Der Ring ist ganz einfach, aber einer meiner Kollegen glaubt, dass er Teil eines größeren Schmuckstücks war, das das Symbol des Drachenordens trug.«
    Ich muss gestehen, dass mein Herz für ein oder zwei Schläge aussetzte. »Das Symbol?«
    »Ja, ein Drache mit langen Klauen und einem gewundenen Schwanz. Wer in den Orden aufgenommen war, trug das Symbol immer irgendwo an sich, gewöhnlich als Brosche oder Spange für den Mantel. Unser Freund Vlad gehörte ohne Zweifel dazu, wahrscheinlich wurde er durch seinen Vater in den Orden eingeführt, als er das Mannesalter erreichte.« Georgescu lächelte zu mir hoch. »Aber ich habe das Gefühl, das wissen Sie bereits, Professor.«
    Bedauern und Erleichterung kämpften in mir. »Dann ist das hier also sein Grab, und die Legende hat sich nur bezüglich des exakten Platzes geirrt.«
    »Oh, ich glaube nicht.« Er strich den Teppich über der Platte wieder glatt. »Nicht alle meine Kollegen würden mir zustimmen, aber ich denke, alles spricht klar dagegen.«
    Ich konnte nicht anders, als ihn erstaunt anzustarren. »Und was ist mit der königlichen Kleidung und dem kleinen Ring?«
    Georgescu schüttelte den Kopf. »Der Tote hier war wahrscheinlich ein Mitglied des Ordens, irgendein hochrangiger Edelmann, und vielleicht hat man ihn deshalb in Draculas besten Sonntagsstaat gekleidet. Vielleicht hat man ihn sogar gebeten, sein Leben auszuhauchen, um einen Leichnam zu haben, mit dem sich das Grab füllen ließ – wann immer das auch genau geschah. «
    »Haben Sie das Skelett später wieder zurückgelegt?« Ich musste das fragen, der Stein lag so nahe bei unseren Füßen.
    »Oh nein, wir haben ihn ins historische Museum nach Bukarest verfrachtet – aber Sie können ihn sich dort leider nicht ansehen. Man hat ihn ins Magazin gepackt, und vor zwei Jahren ist er verschwunden, mit all seinen schönen Kleidern. Was für eine Schande.« Georgescu sah allerdings nicht so aus, als täte es ihm schrecklich Leid. Für ihn schien das Skelett ansprechend, aber unwichtig gewesen zu sein, zumindest verglichen mit dem Wild, hinter dem er wirklich her war.
    »Ich verstehe das nicht«, sagte ich und sah ihn immer noch an. »Bei so vielen Beweisen: Warum genau glauben Sie nicht, dass es sich um Vlad Dracula handelte?«
    »Das ist sehr einfach«, sagte Georgescu in bester Laune und schlug auf den Teppich. »Der Kerl hier hatte noch seinen Kopf Dracula war er abgeschnitten und von den Türken als Trophäe nach Istanbul geschafft worden. Alle Quellen stimmen darin überein. Deshalb buddele ich nun im alten Kerker nach einem weiteren Grab. Ich denke, der Leichnam wurde von seinem Begräbnisplatz vor der Altarwand entfernt, um Grabräubern zuvorzukommen oder um ihn vor späteren türkischen Invasionen zu schützen. Irgendwo hier auf der Insel liegt er, der alte Schwerenöter. «
    Ich war wie gelähmt vor lauter Fragen, die ich Georgescu stellen wollte, aber er stand bereits wieder auf und streckte sich. »Hätten Sie Lust, drüben am Ufer zu Abend zu essen? Ich könnte ein ganzes Schaf verschlingen. Wir können aber auch erst den Beginn der Messe hören, wenn Sie möchten. Wo wohnen Sie?«
    Ich gestand ihm, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich unterkommen sollte, und dass ich zusätzlich für meinen Fahrer etwas finden müsse. »Es gibt eine ganze Menge, worüber ich gerne mit Ihnen sprechen würde«, fügte ich noch hinzu.
    »Und ich mit Ihnen«, stimmte er mir zu. »Das können wir beim Essen.«
    Ich musste mit meinem Fahrer sprechen, also gingen wir zurück zur Kerkerruine. Wie sich herausstellte, besaß der

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