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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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die es vom ganzen westlichen Europa getrennt ist. Die kleinen Häuser, von denen etliche ärmlich und schäbig, die meisten aber ziemlich heiter aussehen, haben lange niedrige Dachtraufen und hohe Schornsteine, auf denen die gigantischen Nester der Störche sitzen, die den Sommer hier verbringen.
    Ich war den ganzen Nachmittag mit Georgescu unterwegs und habe festgestellt, dass der Platz im Dorfzentrum so etwas wie ihr Versammlungsort ist. Es gibt dort einen Brunnen für alle Dorfbewohner und einen großen Trog für das Vieh, das zweimal am Tag mitten durch das Dorf getrieben wird. Unter einem morschen alten Baum duckt sich die Schänke; ein lauter Ort, wo ich eine Runde eines unheiligen Feuerwassers nach der anderen für die Dorftrinker bestellen musste – denk daran, wenn du mit deinem zahmen Glas Stout im Goldenen Wolf sitzt! Es gibt ein oder zwei Männer unter ihnen, mit denen ich tatsächlich ein wenig kommunizieren kann.
    Einige dieser Männer erinnern sich an Georgescus letzten Besuch vor sechs Jahren, und sie begrüßten ihn mit eifrigem Schulterklopfen, als wir am Nachmittag die Schänke betraten; andere scheinen ihn zu meiden. Georgescu sagt, es ist eine Tagesreise zur Burg und zurück, und niemand hat sich bis jetzt bereit erklärt, uns hinzubringen. Sie reden von Wölfen, Bären und natürlich Vampiren – pricolici heißen sie in ihrer Sprache. Ich bekomme etwas Gefühl für ein paar rumänische Wörter, und mein Französisch, Italienisch und Latein sind mir von größtem Nutzen, wenn ich über die Bedeutung von einzelnen Begriffen nachgrübele. Als wir heute Abend ein paar der weißhaarigen trinkfreudigen Männer befragten, gaffte uns fast das ganze Dorf an: Hausfrauen, Bauern, ganze Pulks barfüßiger kleiner Kinder und die jungen Mädchen, die alles in allem dunkeläugige Schönheiten sind. Irgendwann waren wir derart von Dörflern umgeben, die so taten, als müssten sie Wasser holen, vor dem Haus die Stufen fegen oder unbedingt mit dem Wirt der Schänke etwas besprechen, dass ich laut herauslachte, was sie noch mehr uns anstarren ließ.
    Morgen mehr – wie gut mir eine Stunde Unterhaltung mit dir tun würde, und zwar in meiner, unserer Sprache!
    Ergeben der deine, Rossi
     
     
    Mein lieber Freund,
    wir haben, voller Furcht und Ehrfurcht, den Weg zu Vlads Burg gemacht und sind wieder zurück. Ich weiß jetzt, warum ich sie sehen wollte. Es hat das alles wirklicher für mich gemacht, in mein Leben geholt, jene Furcht einflößende Gestalt, die ich in ihrem Tod suche, oder bald suchen werde, irgendwie, irgendwo, wenn meine Karten von irgendeinem Nutzen sind. Im Folgenden werde ich versuchen, dir unsere Exkursion zu beschreiben, wobei ich mir selbst noch einmal die gesamte Szenerie vor Augen rufen und dabei gleich auch eine Niederschrift für mich selbst anfertigen möchte.
    Bei Tagesanbruch fuhren wir mit dem Fuhrwerk eines jungen Bauern los, dem es ganz gut zu gehen scheint – er ist der Sohn von einem der alten Trinkkumpane aus der Schänke. Offenbar hatte ihm sein alter Herr aufgetragen, uns zu bringen, was ihm nicht recht zu passen schien. Als wir beim ersten Licht auf dem Dorfplatz auf seinen Wagen kletterten, deutete er ein paarmal auf die Berge, schüttelte den Kopf und fragte: »Poenari? Poenari?« Aber endlich dann schien er sich in sein Los zu ergeben, nahm die Zügel seiner Pferde, und die beiden mächtigen braunen Tiere zogen uns davon.
    Der Mann selbst sah blendend aus, groß und breitschultrig unter seinem Hemd mit den weiten Ärmeln und der wollenen Weste, und mit seinem Hut überragte er uns gut um zwei Köpfe. Das zog seine Ängstlichkeit über unseren Ausflug etwas ins Komische, obwohl ich nach dem, was ich in Istanbul gesehen habe (wovon ich dir, wie ich schon sagte, persönlich berichten werde), ganz sicher nicht über die Ängste dieser Bauern lachen sollte. Georgescu versuchte, ihn während unserer Fahrt in den tiefen Wald in ein Gespräch zu verwickeln, aber der Mann saß nur da und hielt in stiller Verzweiflung (so kam es mir wenigstens vor) die Zügel gepackt, wie ein Gefangener, den man zum Schafott führt. Hin und wieder kroch seine Hand in sein Hemd, als trüge er eine Art schützendes Amulett darunter. Ich schloss von dem Lederband um seinen Hals darauf und musste der Versuchung widerstehen, ihn darum zu bitten, es sehen zu dürfen. Der Mann tat mir Leid, weil wir ihm diese Sache zumuteten, die alle Verbote seiner Kultur missachtete, und ich entschloss mich, ihm am Ende

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