Der Historiker
starrte sie an.
›Oh, es war nicht so primitiv‹, sagte sie. ›Er hat nicht gesagt, schlaf mit mir, dann kannst du nach England. Er ist subtiler. Er bekam auch nicht alles von mir, was er wollte. Aber als er seinen Reiz für mich verloren hatte, hielt ich einen Pass in den Händen. So war es, und als ich das begriff, wollte ich meine Fahrkarte in die Freiheit, den Westen, nicht wieder hergeben. Ich dachte, es wäre es wert, um meinen Vater zu finden. Also spielte ich noch so lange mit Géza, bis ich nach London fliehen konnte, und dann ließ ich ihm einen Brief zurück, in dem ich meine Beziehung zu ihm abbrach. Ich wollte ehrlich sein, was das anging. Er muss außer sich gewesen sein, aber er hat mir nie geschrieben.‹
›Und woher wusstest du, dass er bei der Geheimpolizei ist?‹
Sie lachte. ›Er war zu eitel, um es für sich zu behalten. Er wollte mich beeindrucken, und ich habe ihm nicht gesagt, dass ich mehr Angst hatte, als dass ich beeindruckt war. Obwohl mein Ekel noch größer war als meine Furcht. Er erzählte mir von Menschen, die er ins Gefängnis geschickt oder hatte foltern lassen, und deutete an, dass es noch Schlimmeres gab. Es ist unmöglich, so einen Mann am Ende nicht zu hassen.‹
›Das tröstet mich nicht gerade, was sein Interesse an mir betrifft‹, sagte ich. ›Aber ich bin froh zu wissen, dass du so über ihn denkst.‹
›Was glaubst du denn?‹, fragte sie. ›Seit unserer ersten Minute hier versuche ich ihm aus dem Weg zu gehen.‹
›Trotzdem habe ich gespürt, dass du ein etwas komplizierteres Verhältnis zu ihm hast‹, gab ich zu. ›Ich wurde den Gedanken nicht los, dass du ihn vielleicht einmal geliebt hast, oder immer noch liebst – oder etwas Ähnliches.‹
›Nein.‹ Sie schüttelte den Kopf und sah hinunter in den dunklen Strom. ›Ich könnte keinen Verhörer lieben, keinen Folterer. Wahrscheinlich ist er sogar ein Mörder. Und wenn ich ihn nicht schon wegen all dieser Dinge abgelehnt hätte, in der Vergangenheit und heute noch mehr, hätte es andere Gründe gegeben, aus denen ich ihn schließlich zurückgewiesen hätte.‹ Sie drehte sich mir leicht zu, ohne mich jedoch anzusehen. ›Es sind kleinere Dinge, aber sie sind sehr wichtig. Er ist ohne jede Güte. Er weiß nicht, wann man etwas Tröstendes sagen und wann man schweigen sollte. Ihn interessiert Geschichte nicht wirklich. Er hat keine sanften grauen Augen, keine buschigen Brauen und rollt die Hemdsärmel nicht bis zu den Ellbogen auf.‹ Ich konnte den Blick nicht von ihr wenden, und jetzt erwiderte sie ihn mit mutiger Entschlossenheit. ›Kurz gesagt, sein größtes Problem ist, dass er nicht du ist.‹
Ihr Blick war fast ausdruckslos, aber im nächsten Moment schon lächelte sie, als könnte sie nicht anders, als kämpfte sie dagegen an, und es war das wunderschöne Lächeln der Frauen in ihrer Familie. Immer noch ungläubig sah ich sie an, und dann nahm ich sie in die Arme und küsste sie voller Leidenschaft. ›Was hast du denn geglaubt?‹, murmelte sie, sobald ich sie für eine Sekunde frei gab. ›Was hast du denn geglaubt?‹
Lange Zeit standen wir so da, es kann gut eine Stunde gewesen sein, und dann wich sie plötzlich mit einem Stöhnen zurück und legte sich die Hand auf den Hals. ›Was ist?‹, fragte ich alarmiert.
Sie zögerte einen Moment. ›Meine Wunde‹, sagte sie langsam. ›Sie ist verheilt, aber manchmal schmerzt sie für einen Moment. Und gerade dachte ich – was, wenn ich dich nicht hätte küssen sollen?‹
Wir sahen einander an. ›Lass sie mich sehen‹, sagte ich. ›Helen, lass sie mich sehen!‹
Schweigend knotete sie ihr Halstuch auf und hob im Licht der Laterne ihr Kinn. Auf der Haut ihres kräftigen Halses waren zwei purpurne Male zu erkennen, fast ganz verschlossen. Meine Ängste wichen ein wenig. Sie war eindeutig kein zweites Mal gebissen worden. Ich beugte mich vor und berührte die Stelle mit meinen Lippen.
›Oh Paul, nicht!‹, rief sie und schreckte zurück.
›Es ist mir egal‹, sagte ich. ›Ich werde dich heilen.‹ Forschend sah ich in ihr Gesicht. ›Oder tut es dir weh?‹
›Nein, es tut gut‹, gab sie zu, legte aber die Hand auf den Hals, fast wie beschützend, und gleich darauf band sie sich das Tuch wieder um. Da begriff ich, dass ich umsichtiger sein musste, mich um sie kümmern musste, auch wenn sie nur leicht infiziert war. Ich suchte in meiner Tasche. ›Das hätten wir schon längst tun sollen. Ich möchte, dass du das trägst.‹ Es
Weitere Kostenlose Bücher