Der Historiker
aufbauen werden.
Danach werde ich kommen, um sie zu holen! Oh, wie lang werden diese vier Wochen Trennung sein! Mein Wunsch wäre, dass uns die Mönche in Snagov trauen, so dass Georgescu unser Trauzeuge sein kann. Wenn ihre Eltern allerdings darauf bestehen, dass wir noch vor unserer Abreise heiraten, werde ich dem natürlich zustimmen. Auf jeden Fall werde ich mit ihr als meiner Frau reisen. Ich denke, dass ich meinen Eltern aus Griechenland telegrafiere und dann mit ihr zu ihnen fahre, wenn wir erst in England angekommen sind. Könntest du derweil schon, lieber Freund, ein wenig – und äußerst diskret – nach Zimmern außerhalb des Colleges sehen, wobei die Frage der Kosten nicht unwichtig sein wird? Dazu sollte sie möglichst bald Englisch lernen; ich bin sicher, dass sie eine herausragende Schülerin sein wird. Vielleicht wirst du schon im Herbst bei uns am Kamin sitzen, mein Freund, und den Grund meiner Verrücktheit mit eigenen Augen sehen. Bis dahin bist du der Einzige, an den ich mich mit dieser Sache wenden zu können glaube, sobald ich diese Briefe absenden kann. Ich hoffe, dein Urteil fällt gütig aus, gemäß der Größe deines Herzens.
In Freude und Furcht der deine,
Rossi
48
Es war Rossis letzter Brief – wahrscheinlich auch der letzte, den er seinem Freund hatte schicken wollen. Ich saß neben Helen im Bus zurück nach Budapest, faltete sorgfältig die Seiten wieder zusammen und nahm kurz ihre Hand in meine. ›Helen‹, sagte ich zögernd, weil ich das Gefühl hatte, dass es zumindest einer von uns laut aussprechen musste, ›du bist eine Nachfahrin von Vlad Dracula.‹ Sie sah mich an und dann aus dem Fenster, und ich glaubte, auf ihrem Gesicht erkennen zu können, dass sie selbst nicht wusste, was sie darüber denken sollte, dass es sie aber zutiefst aufwühlte.
Als wir in Budapest aus dem Bus stiegen, war es fast schon Abend, und ich konnte kaum glauben, dass wir erst heute Morgen aus dem Busbahnhof herausgefahren waren. Es kam mir vor, als wären seitdem mehrere Jahre vergangen. Rossis Briefe ruhten sicher in meiner Aktentasche, und ihr Inhalt füllte meinen Kopf mit schmerzlichen Bildern, die ich auch in Helens Augen gespiegelt fand. Sie hatte sich bei mir eingehakt, hielt sich ganz fest, als hätten die Entdeckungen dieses Tages ihr Vertrauen erschüttert. Ich wollte meinen Arm um sie legen, sie dort auf der Straße an mich drücken und küssen und ihr sagen, dass ich sie nie verlassen würde und dass auch Rossi es nicht hätte tun sollen – dass er ihre Mutter nie so hätte zurücklassen dürfen. Aber ich begnügte mich damit, ihre Hand fest an meine Seite zu drücken und mich von ihr zum Hotel führen zu lassen.
Als wir in die Hotelhalle kamen, hatte ich erneut das Gefühl, lange Zeit weg gewesen zu sein. Wie seltsam es doch war, dachte ich, dass mir diese unbekannten Orte schon nach Tagen vertraut zu werden schienen. Helen fand eine Nachricht von ihrer Tante vor, die sie gleich las. ›Ich habe es mir doch gedacht. Sie will heute Abend mit uns hier im Hotel essen. Sie will sich von uns verabschieden, nehme ich an.‹
›Wirst du es ihr erzählen?‹
›Was in den Briefen steht? Wahrscheinlich. Früher oder später erzähle ich Éva immer alles.‹ Ich fragte mich, ob sie ihr etwas über mich erzählt hatte, von dem ich nichts wusste, verdrängte den Gedanken aber wieder.
Wir hatten kaum Zeit, uns vor dem Abendessen frisch zu machen und umzuziehen. Ich zog mir das sauberere meiner beiden schmutzigen Hemden an und rasierte mich über dem ausladenden Waschbecken, und als ich ins Foyer kam, war Éva bereits da, Helen allerdings noch nicht. Éva stand an dem großen Fenster zur Straße, hielt mir den Rücken zugewandt und sah hinaus in das verblassende Abendlicht. Aus dieser Perspektive hatte sie weniger von der beeindruckenden Präsenz und Intensität ihres öffentlichen Auftretens. Der Rücken unter der dunkelgrünen Kostümjacke wirkte entspannt, sogar ein wenig gebeugt. Indem sie sich plötzlich umdrehte, ersparte sie mir die Entscheidung, ob ich ihren Namen rufen sollte. Ich sah Sorge auf ihrem Gesicht, bevor sie ihr wundervolles Lächeln in meine Richtung schickte. Sie kam auf mich zugeeilt, schüttelte mir die Hand, und ich küsste ihre. Wir wechselten kein Wort, und doch hätten wir Freunde sein können, die sich nach Monaten oder Jahren der Trennung wiedersahen.
Zu meiner Erleichterung erschien Helen bereits ein paar Augenblicke später, und
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