Der Historiker
ihren Mädchenhänden ihre Knie. Es war klar, dass sie unsere Verbindung guthieß, und ich spürte, wie uns plötzlich von diesen freundlichen Menschen Glück gewünscht wurde.
›Ich rufe meine Tante an‹, sagte Helen mit fester Stimme und drückte mir die Hand.
›Éva? Was kann sie tun?‹
›Wie du weißt, kann sie alles.‹ Helen lächelte mich an. ›Nein, ich weiß nicht, was genau sie wirklich tun kann oder wird. Aber sie hat nicht nur Feinde, sondern auch Freunde bei der Geheimpolizei unseres Landes‹ – fast gegen ihren Willen schien sie ihre Stimme zu senken –, ›und die wiederum haben Freunde überall in Osteuropa. Natürlich auch Feinde – alle spionieren sie sich gegenseitig aus. Es könnte eine Gefahr für sie bedeuten, das ist das Einzige, was ich dabei bedauere. Und wir werden eine große, wirklich große Summe Schmiergeld brauchen.‹
›Bakschisch.‹ Turgut nickte. ›Selbstverständlich. Selim Aksoy und ich haben darüber nachgedacht. Wir haben zwanzigtausend Lire aufgetrieben, die Sie dafür brauchen könnten. Und wenn ich auch nicht mit Ihnen reisen kann, meine Freunde, so werde ich Ihnen doch helfen, wo immer ich kann, genau wie Mr Aksoy.‹
Ich sah ihn genau an, und auch Mr Aksoy, sie saßen uns direkt gegenüber, den Kaffee längst vergessen, sehr aufrecht und ernst. Etwas in ihren Gesichtern – Turguts groß und rötlich, Aksoys zart, beide mit wachen Augen, beide ruhig und doch gleichzeitig fast erregt aufmerksam –, etwas in diesen Gesichtern schien mir plötzlich sehr vertraut. Ein Gefühl, das ich nicht näher bezeichnen konnte, überkam mich, und ich hielt die Frage für eine Sekunde zurück. Dann drückte ich Helens Hand etwas fester, diese kräftige, mir schon so lieb gewordene Hand, und erwiderte Turguts dunklen Blick.
›Wer sind Sie?‹, fragte ich.
Turgut und Selim warfen sich einen Blick zu, und etwas schien wortlos zwischen ihnen hin und her zu wechseln. Dann sprach Turgut mit leiser, klarer Stimme: ›Wir arbeiten für den Sultan.‹
51
Helen und ich schreckten gleichzeitig zurück. Eine Sekunde lang glaubte ich, dass Turgut und Selim mit einer dunklen Macht verbündet sein mussten, und ich kämpfte mit dem Drang, meine Aktentasche und Helens Arm zu packen und aus der Wohnung zu fliehen. Wie, wenn nicht durch dunkle Mächte, konnten diese beiden Männer, die ich für unsere Freunde gehalten hatte, für einen Sultan arbeiten, der lange tot war? Alle Sultane waren lange tot: Auf wen immer Turgut sich also bezog, er konnte nicht mehr Teil dieser Welt sein. Und hatten sie uns auch in anderen Punkten angelogen?
Meine verwirrten Überlegungen wurden von Helen unterbrochen. Sie beugte sich vor, blass, die Augen groß, aber ihre Frage kam ruhig und orientierte sich außerordentlich praktisch an der Situation – so praktisch, dass ich einen Moment brauchte, um sie zu verstehen. ›Professor Bora‹, sagte sie langsam, ›wie alt sind Sie?‹
Er lächelte sie an. ›Oh, meine liebe Madam, wenn Sie fragen, ob ich fünfhundert Jahre alt bin, dann ist die Antwort glücklicherweise Nein. Ich arbeite für den Erhabenen und Herrlichen Retter dieser Welt, Sultan Mehmed II. aber ich hatte nie die unvergleichliche Ehre, ihn zu treffen.‹
›Was um alles in der Welt versuchen Sie uns hier eigentlich zu erklären?‹, brach es aus mir heraus.
Turgut lächelte wieder, und Selim nickte mir freundlich zu. ›Ich wollte Ihnen das alles nicht erzählen‹, sagte Turgut. ›Aber Sie haben uns in so vielen Dingen Vertrauen geschenkt, und da
Sie nun diese so aufmerksame Frage stellen, werden wir es Ihnen erklären. Ich wurde ganz normal im Jahre 1911 geboren, und ich hoffe, ebenso normal in meinem Bett zu sterben – oh, ungefähr 1985.‹ Er grinste. ›Allerdings werden alle in meiner Familie sehr, sehr alt, und so wird es wohl mein Fluch sein, hier auf diesem Diwan zu sitzen, wenn ich längst zu alt bin, um noch achtbar zu sein.‹ Er legte einen Arm um die Schultern von Mrs Bora. ›Mr Aksoy ist ebenfalls so alt, wie Sie ihn hier vor sich sehen. An uns ist nichts Merkwürdiges. Worin ich Sie jetzt einweihen werde, ist das größte Geheimnis, das ich je jemandem anvertrauen könnte und das Sie beide, was immer auch geschehen mag, unbedingt bewahren müssen: Wir sind Mitglieder der Halbmond-Garde des Sultans.‹
›Ich glaube nicht, dass ich je davon gehört habe‹, sagte Helen mit einem Stirnrunzeln.
›Nein, Frau Professor, das haben Sie nicht.‹ Turgut
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