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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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Aktentasche auf meinem Schoß.
    Er zuckte zusammen und starrte mich an. ›Ich würde dieses Buch gerne sehen, wenn es möglich ist‹, sagte er.
    Aber was ihn noch mehr zu interessieren schien, war Turguts und Selims Entdeckung, dass der Abt, an den die Briefe Kyrills adressiert waren, dem Kloster in Snagov in der Walachei vorgestanden hatte. ›Snagov‹, sagte er mit einem Flüstern. Sein altes Gesicht war purpurrot geworden, und ich fragte mich einen Moment, ob er das Bewusstsein verlieren würde. ›Ich hätte es wissen müssen. Und ich habe den Brief seit dreißig Jahren in meiner Bibliothek!‹
    Ich hoffte, ich würde die Gelegenheit bekommen, ihn nach der Herkunft seines Briefes zu fragen. ›Sie sehen, es gibt einiges, was dafür spricht, dass die Mönche von Bruder Kyrill von der Walachei nach Konstantinopel reisten, bevor sie nach Bulgarien kamen‹, sagte ich.
    ›Ja.‹ Er schüttelte den Kopf. ›Ich habe immer gedacht, er beschriebe eine Reise von Mönchen aus Konstantinopel, eine Pilgerfahrt nach Bulgarien. Ich habe nie begriffen… Maxim Eupraxios… der Abt von Snagov…‹ Er schien fast überwältigt von den schnellen Gedankenfetzen, die wie sturmgetrieben über sein waches altes Gesicht hetzten und ihn heftig blinzeln ließen. ›Und dieses Wort Ivireanu, das Sie gefunden haben und auch dieser Hugh James in Budapest…‹
    ›Wissen Sie, was es bedeutet?‹, fragte ich neugierig.
    ›Aber ja, mein Sohn.‹ Stoichev schien durch mich hindurchzusehen, ohne mich wirklich zu erkennen. ›Es ist der Name von Antim Ivireanu, einem Gelehrten und Drucker in Snagov zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts, lange nach Vlad Tepes. Ich habe über Ivireanus Arbeit gelesen. Er war bekannt unter den Gelehrten seiner Zeit und lockte viele illustre Besucher nach Snagov. Er druckte die heiligen Evangelien auf Rumänisch und Arabisch, und seine Druckerpresse war aller Wahrscheinlichkeit nach die erste in Rumänien. Aber, mein Gott, vielleicht war es auch nicht die erste, wenn die Drachenbücher älter sind. Es gibt so viel, das ich Ihnen zeigen muss!‹ Er schüttelte den Kopf und sah uns mit großen Augen an. ›Lassen Sie uns schnell in meine Räume hinaufgehen.‹
    Helen und ich ließen den Blick wandern. ›Ranov unterhält sich mit Irina‹, sagte ich leise.
    ›Ja.‹ Stoichev erhob sich von seinem Stuhl. ›Wir werden die Tür da drüben seitlich ins Haus nehmen. Beeilen Sie sich bitte!‹
    Wir brauchten nicht gedrängt zu werden. Der Ausdruck auf seinem Gesicht allein schon hätte genügt, ihm auf ein Kliff hinauf zu folgen. Er kämpfte sich die Treppe hoch, und wir folgten ihm langsam. Oben setzte er sich an den großen Tisch, um für einen Moment auszuruhen. Der Tisch war mit Büchern und Manuskripten übersät, die tags zuvor noch nicht dort gelegen hatten. ›Ich habe nie viel über den Brief und die anderen in Erfahrung gebracht‹, sagte Stoichev, nachdem er wieder zu Atem gekommen war.
    ›Die anderen?‹ Helen setzte sich neben ihn.
    ›Ja. Es gibt noch zwei Briefe von Bruder Kyrill – mit meinem und dem in Istanbul macht das vier. Wir müssen gleich ins Kloster Rila, um die anderen in Augenschein zu nehmen. Das ist eine unglaubliche Entdeckung… Um sie wieder zusammenzubringen. Aber das ist es nicht, was ich Ihnen zeigen muss. Ich habe da nie eine Verbindung gesehen…‹ Wieder schien er zu erstaunt, um weiterzusprechen.
    Dann aber stand er auf, ging in einen der anderen Räume und kam mit einem in Papier eingeschlagenen Band zurück, der sich als eine alte wissenschaftliche Zeitschrift entpuppte, die in Deutschland gedruckt worden war. ›Ich hatte einst einen Freund…‹, er unterbrach sich. ›Wenn er doch diesen Tag noch erlebt hätte! Ich hab’s Ihnen schon erzählt. Sein Name war Atanas Angelov, ja, er war ein bulgarischer Historiker und einer meiner ersten Lehrer. 1923 forschte er in der Bibliothek von Rila, die eine unserer großen Schatzkammern mittelalterlicher Werke ist. Er fand dort ein Manuskript aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Es war im hölzernen Einband eines Folianten aus dem achtzehnten Jahrhundert versteckt. Dieses Manuskript wollte er veröffentlichen – es ist die Chronik einer Reise von der Walachei nach Bulgarien. Er starb, während er daran arbeitete, und so beendete ich, was er angefangen hatte, und veröffentlichte es. Das Manuskript liegt noch in Rila… Und ich kam nie darauf…‹ Er strich sich mit zittriger Hand über den Kopf. ›Hier, schnell. Es ist auf

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