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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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unserem Istanbul-Reiseführer stand, dass die Köpfe der Feinde des Sultans in den Bosporus geworfen wurden, nachdem man sie lange genug ausgestellt hatte. Vielleicht hat sich das einer von Panachrantos zu Nutze gemacht. Was wohl weniger gefährlich gewesen wäre, als den Kopf vom Palasttor zu stehlen.‹
    ›Wir werden nicht herausfinden können, wie es wirklich war‹, sagte Stoichev, ›aber ich denke, Miss Rossis Annahme hat sehr viel für sich. Sein Kopf ist das wahrscheinlichste Objekt, das sie in Tsarigrad suchen mochten. Und es gibt auch einen guten theologischen Grund, das zu tun. Unser orthodoxer Glaube besagt, dass unser Körper im Tod so vollständig wie möglich sein soll. Bei uns gibt es beispielsweise auch keine Einäscherung, weil wir am Jüngsten Tag in unseren Körpern wiederauferstehen werden.‹
    ›Was ist mit den Heiligen und all ihren Reliquien, die überall verstreut sind?‹, fragte ich zweifelnd. ›Wie werden sie als Ganzes wiederauferstehen können? Ganz zu schweigen davon, dass ich in Italien vor Jahren fünf Hände des heiligen Franziskus gesehen habe.‹
    Stoichev lachte. ›Die Heiligen haben besondere Privilegien‹, sagte er. ›Aber Vlad Dracula, auch wenn er ein ausgezeichneter Türkentöter war, war sicher kein Heiliger. Eupraxios war sichtlich besorgt um die Unsterblichkeit seiner Seele, folgt man Stefans Erzählung.‹
    ›Oder um seinen unsterblichen Körper‹, sagte Helen.
    ›Dann nahmen also die Mönche von Panachrantos seinen Kopf‹, sagte ich, ›um ihn ordnungsgemäß zu bestatten, und riskierten dafür ihr Leben. Und die Janitscharen bemerkten den Diebstahl und machten sich auf die Suche, worauf der Abt den Kopf aus Istanbul wegschaffen ließ, anstatt ihn an Ort und Stelle zu begraben. Vielleicht zogen von Zeit zu Zeit Pilger nach Bulgarien‹ – ich warf einen Blick zu Stoichev hinüber, um Unterstützung von ihm zu erfahren –, ›und so wurde der Kopf aus der Stadt geschafft, um ihn… nun, in Sveti Georgi zu begraben oder einem anderen bulgarischen Kloster, zu dem man Verbindungen hatte. Dann erschienen die Mönche von Snagov, kamen aber zu spät, um Kopf und Körper wieder miteinander zu vereinen. Der Abt von Panachrantos hörte davon, sprach mit ihnen, und dann entschieden die Mönche aus Snagov, ihren Auftrag zu erfüllen, indem sie mit dem Körper folgten. Im Übrigen mussten sie sich ungeheuer beeilen, bevor die Janitscharen auch an ihnen Interesse entwickelten.‹
    ›Für eine Spekulation ist das sehr gut.‹ Stoichev strahlte mich an. ›Wie ich sagte, können wir uns da nicht sicher sein, denn das alles sind Ereignisse, auf die unsere Dokumente nur hinweisen. Aber Sie haben ein überzeugendes Bild gezeichnet. Am Ende bringen wir Sie noch von Ihren holländischen Kaufleuten ab.‹ Ich spürte, wie ich rot wurde, zum Teil aus Freude, zum Teil aber auch aus Verdruss, doch Stoichevs Lächeln war warmherzig.
    ›Das osmanische Netzwerk wurde aufmerksam, als die Mönche aus Snagov in die Stadt kamen und wieder davonzogen‹, spann Helen die mögliche Geschichte weiter, ›und womöglich durchsuchte man die Klöster und fand heraus, dass die Mönche in Sankt Irene gewesen waren, und so sandte man Nachricht an die Beamten entlang des möglichen Wegs, vielleicht nach Edirne und Haskovo. Haskovo war die erste größere bulgarische Stadt auf dem Weg der Mönche, und so wurden sie dort – wie sagt man? – festgesetzt.‹
    ›Ja‹, sagte Stoichev. ›Die osmanischen Beamten folterten zwei von ihnen, aber die tapferen Mönche sagten nichts. Und die Osmanen durchsuchten den Karren, fanden aber nur Proviant. Das wirft eine Frage auf: Warum fanden die osmanischen Soldaten nicht den Leichnam?‹
    Ich zögerte. ›Vielleicht suchten sie gar nicht nach dem Leichnam. Vielleicht suchten sie immer noch nur nach dem Kopf. Wenn die Janitscharen in Istanbul etwas von der ganzen Sache erfahren hatten, dachten sie vielleicht, dass die Mönche aus Snagov die Transporteure des Kopfes waren. Die Chronik des Zacharias besagt, dass die Osmanen wütend wurden, als sie einige der Bündel öffneten und nur Proviant darin fanden. Der Körper kann auch in einem Wald in der Nähe versteckt gewesen sein; möglicherweise waren die Mönche vorgewarnt.‹
    ›Oder der Karren war so konstruiert, dass es einen besonderen Platz gab, an dem sich etwas verstecken ließ‹, überlegte Helen.
    ›Aber die Leiche muss gestunken haben‹, erinnerte ich sie unverblümt.
    ›Das kommt darauf an, was du

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