Der Historiker
wir waren wieder allein mit unserem Reiseführer. Der konnte nun dafür sorgen, dass wir unsere Untersuchungen abschlossen und Bulgarien möglichst bald wieder verließen.
Irina war offenbar in der Kirche gewesen. Sie kam über den sommerglühenden Innenhof in unsere Richtung, als wir ins Freie traten. Als er sie sah, wandte sich Ranov ab, um in einer der Galerien eine Zigarette zu rauchen, dann schlenderte er zum Haupttor und verschwand nach draußen. Vielleicht brauchte auch er eine Pause von uns. Stoichev ließ sich schwer auf eine hölzerne Bank beim Eingang fallen, mit Irinas schützender Hand auf der Schulter. ›Hören Sie‹, sagte er sehr leise und lächelte uns zu, als hielten wir einen angenehmen Schwatz. ›Wir müssen schnell sprechen, solange unser Freund uns nicht hören kann. Ich wollte Ihnen keine Angst machen. Es gibt keine Zollpapiere oder einen belegten Rücktransport walachischer Reliquien in ihre Heimat. Es tut mir Leid, aber ich habe gelogen. Vlad Dracula ist sicher in Sveti Georgi begraben, wo immer das ist, und ich habe etwas sehr Wichtiges gefunden. In der Chronik sagte Stefan, Sveti Georgi läge in der Nähe von Bachkovo. Ich habe keine Ähnlichkeit zwischen Ihren Karten und der Gegend um Bachkovo entdecken können, aber es gibt einen Brief vom Abt von Bachkovo an den Abt von Rila, der aus dem frühen sechzehnten Jahrhundert stammt. Ich habe mich nicht getraut, Ihnen diesen Brief vor den Augen unseres Begleiters zu zeigen. In ihm steht, dass der Abt von Bachkovo vom Abt von Rila oder irgendwelchen anderen Klerikern keine Hilfe mehr braucht, die Ketzerei in Sveti Georgi zu unterbinden, weil das Kloster durch Feuer zerstört wurde und die Mönche in alle Winde zerstreut sind. Er warnt den Abt von Rila, er möge auf Mönche aus Sveti Georgi achten, oder überhaupt auf Mönche, welche die Geschichte verbreiteten, dass der Drache Sveti Georgi, den heiligen Georg, ermordet habe, weil dies das Zeichen ihrer Ketzerei sei.‹
›Der Drache hat… Moment‹, sagte ich. ›Sie beziehen sich auf den Satz mit dem Ungeheuer und dem Heiligen? Kyrill sagte, dass sie nach einem Kloster suchten, dessen Zeichen besagte, dass sich der Heilige und das Ungeheuer ebenbürtig seien.‹
›Der heilige Georg ist eine der wichtigsten Gestalten der bulgarischen Ikonografie‹, sagte Stoichev ruhig. ›Es wäre in der Tat eine seltsame Umkehrung, wenn der Drache den heiligen Georg besiegte. Aber Sie erinnern sich, dass die walachischen Mönche nach einem Kloster suchten, das bereits dieses Zeichen hatte, denn das würde der richtige Ort sein, um Draculas Körper wieder mit seinem Kopf zu vereinen. Ich fange an, darüber nachzudenken, ob es womöglich einen größeren Fall von Ketzerei gab, von dem wir nichts wissen: einen, von dem man in Konstantinopel wusste und in der Walachei, und den auch Dracula kannte. Hatte der Drachenorden seine eigenen spirituellen Überzeugungen außerhalb der Ordnung der Kirche? Könnte dadurch eine Ketzerlehre entstanden sein? Bis heute ist mir so etwas nie in den Sinn gekommen.‹ Er schüttelte den Kopf. ›Sie müssen nach Bachkovo und den Abt fragen, ob er etwas über diese Gleichstellung von Ungeheuer und Heiligem weiß oder über die Umkehrung des Verhältnisses. Heimlich müssen Sie ihn das fragen. Mein Brief an ihn, den Ihr Führer lesen wird, darf nur davon sprechen, dass Sie Wallfahrtsrouten erforschen wollen, Sie müssen einen Weg finden, heimlich mit ihm zu reden. Zudem gibt es in Bachkovo einen Mönch, einen alten Historiker und bekannten Fachmann für die Geschichte von Sveti Georgi. Er hat mit Atanas Angelov gearbeitet und war der Zweite, der die Chronik des Zacharias las. Als ich ihn kannte, hieß er Pondev, aber ich weiß nicht, wie er heute als Mönch heißt. Der Abt wird Ihnen helfen können, ihn zu finden. Und dann gibt es noch etwas. Ich habe hier keine Karte von der Gegend um Bachkovo, aber ich glaube, dass es im Nordosten des Klosters ein langes, sich windendes Tal gibt, durch das wahrscheinlich einmal ein Fluss floss. Ich erinnere mich, es einmal gesehen zu haben, und dass ich mit den Mönchen darüber sprach, als ich in der Gegend war, wenn ich auch nicht mehr weiß, wie sie den Fluss nannten. Könnte das unser Drachenschwanz sein? Aber was wären dann die Flügel? Vielleicht die Berge? Sie müssen auch nach ihnen suchen!‹
Ich wollte vor Stoichev niederknien und ihm die Füße küssen. ›Aber kommen Sie nicht mit uns?‹
›Ich würde mich selbst meiner
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