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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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Nichte widersetzen, um das zu tun‹, sagte er und lächelte ihr zu, ›aber ich fürchte, es würde nur Anlass zu mehr Argwohn geben. Wenn Ihr Begleiter glaubt, dass ich weitergehend an Ihren Nachforschungen interessiert bin, wird er umso aufmerksamer sein. Wir fahren morgen gleich bei Sonnenaufgang. Einer der Mönche bringt uns zum Bus. Kommen Sie mich besuchen, sobald Sie zurück in Sofia sind, wenn Sie können. Ich werde an Sie denken und hoffe, alles geht gut und Sie finden, was Sie suchen. Hier, nehmen Sie das!‹ Er legte etwas Kleines in Helens Hand, und sie schloss schnell die Finger darum; ich konnte weder sehen, was es war, noch, wohin sie es steckte.
    ›Mr Ranov ist schon ziemlich lange Zeit weg‹, sagte sie.
    Ich sah sie an. ›Soll ich nach ihm sehen?‹ Ich hatte gelernt, auf Helens Instinkte zu vertrauen, und so ging ich, ohne noch auf eine Antwort zu warten, zum Haupttor.
    Direkt vor der Klosteranlage sah ich Ranov mit einem Mann bei einem langen blauen Auto stehen. Der andere war groß und elegant, trug einen Sommeranzug und Hut, und etwas an ihm ließ mich im Schatten des Tores stehen bleiben. Die beiden schienen mitten in einer ernsthaften Diskussion, die aber plötzlich abbrach. Der gut aussehende Mann klopfte Ranov auf die Schulter und schwang sich ins Auto. Ich spürte den Stoß dieses freundlichen Schlags – ich kannte diese Geste, er war auch schon auf meiner Schulter gelandet. So unglaublich es schien, war dieser Mann, der da schwungvoll von dem staubigen Parkplatz fuhr, bestimmt Géza Jozsef. Ich wich zurück in den Hof und lief so schnell wie möglich zurück zu Helen und Stoichev. Helen sah mich neugierig an, vielleicht lernte auch sie, meinen Instinkten zu trauen. Ich zog sie einen Moment zur Seite; Stoichev sah zwar verblüfft aus, war aber zu höflich, um mich nach dem Grund zu fragen. ›Ich glaube, Jozsef ist hier‹, flüsterte ich schnell. ›Ich habe sein Gesicht nicht gesehen, aber jemand, der aussah wie er, hat gerade mit Ranov gesprochen.‹
    ›Verdammt‹, sagte Helen leise, und ich glaube, es war das erste und letzte Mal, dass ich sie je fluchen hörte.
    Einen Augenblick später schon kam Ranov herangeeilt. ›Zeit zum Essen‹, sagte er ausdruckslos, und ich fragte mich, ob er es bedauerte, uns die paar Minuten mit Stoichev allein gelassen zu haben. Sein Ton sagte mir unmissverständlich, dass er mich draußen nicht gesehen hatte. ›Kommen Sie.‹
    Das schweigsam genossene Klosteressen, von zwei Mönchen aufgetragen, schmeckte köstlich. Offenbar übernachtete eine Hand voll Touristen mit uns in der Herberge, und ich stellte fest, dass einige von ihnen nicht Bulgarisch sprachen. Ein paar Deutschsprechende mussten Urlauber aus der DDR sein, dachte ich, und vielleicht war die andere Sprache Tschechisch. Die Mönche saßen genau wie wir an einem langen Holztisch. Wir aßen mit großem Appetit, und ich freute mich schon auf die Pritschen, die auf uns warteten. Helen und ich hatten keine Sekunde für uns, aber ich wusste, dass sie über Jozsefs Anwesenheit nachgrübelte. Was wollte er von Ranov? Oder vielmehr: Was wollte er von uns? Ich erinnerte mich an Helens Warnung, dass man uns folgen würde. Wer hatte ihm gesagt, dass wir hier sind?
    Es war ein anstrengender Tag gewesen, aber ich war so begierig darauf, nach Bachkovo zu kommen, dass ich mit Freuden noch an diesem Abend zu Fuß losgelaufen wäre, wenn mich das schneller dorthin gebracht hätte. Stattdessen würden wir schlafen, um auf den nächsten Reisetag vorbereitet zu sein. Hineingewoben in das Schnarchen aus Ostberlin und Prag, würde ich Rossis Stimme vernehmen, die sich Gedanken über einen Streitpunkt in unserer Arbeit machte, und dazu Helen, die, halb amüsiert über meinen mangelnden Scharfsinn, sagte: Aber natürlich will ich dich heiraten.

 
    65
     
     
     
    Juni 1962
    Meine geliebte Tochter,
    wir sind wohlhabend, weißt du, wegen einiger schrecklicher Dinge, die deinem Vater und mir zugestoßen sind. Das meiste von diesem Geld habe ich deinem Vater gegeben, für dich, aber ich habe immer noch genug, um eine lange Suche durchzustehen, ja, eine Belagerung. Ich habe einiges davon vor fast zwei Jahren in Zürich umgetauscht und ein Konto unter einem Namen eröffnet, den ich nie jemandem sagen werde. Mein Bankkonto reicht weit. Einmal im Monat hebe ich Geld davon ab, um für die Miete zu zahlen, die Archivkosten, das Essen in den Restaurants. Ich gebe so wenig wie möglich aus, damit ich eines Tages alles, was

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