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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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solche Plätze, an denen auch heute noch Landarbeiter begraben werden.‹ Es gab Grabsteine und Holzkreuze mit einem dreieckigen Dächlein oben, und vor vielen standen kleine Lampen. ›Bruder Ivan sagt, die Zeremonie beginnt nicht vor halb zwölf‹, gab Ranov weiter. ›Im Augenblick bereiten sie die Kirche vor. Er wird uns erst zu Baba Yanka bringen, und später kommen wir zurück, um alles anzusehen.‹ Er beobachtete uns genau, als wollte er herausfinden, was uns am meisten interessierte.
    ›Was machen die dort?‹, fragte ich und deutete auf eine Gruppe Männer, die auf dem Feld hinter der Kirche arbeiteten. Einige schleppten Holzscheite und große Äste auf einen Haufen, während andere Ziegel und Steine darum legten. Sie hatten bereits eine Unmenge Holz aus dem Wald geholt.
    ›Bruder Ivan sagt, das ist für das Feuer. Ich hatte auch nicht damit gerechnet, aber sie veranstalten einen Feuerlauf.‹
    ›Feuerlauf!‹, rief Helen.
    ›Ja‹, sagte Ranov flau. ›Kennen Sie diesen Brauch? Er ist in unserer modernen Zeit selten geworden, und in diesem Teil des Landes sogar noch seltener. Ich habe davon eigentlich nur in der Schwarzmeer-Region gehört. Aber wir befinden uns hier in einer armen, abergläubischen Gegend, in der die Partei noch einiges zu tun hat. Ich habe keinen Zweifel, dass es mit diesen Dingen irgendwann vorbei sein wird.‹
    ›Ich habe davon gehört.‹ Helen wandte sich mit ernster Miene an mich. ›Es war eine heidnische Sitte und wandelte sich zu einer christlichen, als der Balkan christianisiert wurde. Normalerweise ist es eher ein Tanz als ein Lauf. Ich freue mich sehr, dass wir so etwas zu sehen bekommen werden.‹
    Ranov zuckte mit den Schultern und schob uns in Richtung Kirche, aber vorher sah ich noch, wie sich einer der Männer beim Holz unvermittelt vorbeugte und den Haufen in Brand setzte. Das Feuer griff schnell um sich und schoss mit einem Dröhnen in die Höhe. Das Holz war trocken wie Zunder, und die Flammen hatten bald schon die Spitze erreicht, über die sie wild hinausloderten. Selbst Ranov sah wie gebannt zu. Die Männer, die den Haufen aufgeschichtet hatten, traten ein paar Schritte zurück, dann noch ein paar, und wischten sich die Hände an den Hosen ab. Die Flammen schlugen jetzt hoch, fast so hoch wie das Dach der Kirche, das sich aber in sicherem Abstand davon befand. Wir sahen zu, wie das Feuer sein riesiges Mahl verschlang, bis Ranov uns weiterschob. ›Sie werden es die nächsten Stunden brennen und zu Asche zerfallen lassen‹, sagte er. ›Selbst die Abergläubischsten würden jetzt nicht darin tanzen.‹
    Als wir die Kirche betraten, kam ein junger Mann, bei dem es sich offensichtlich um den Priester handelte, auf uns zu und begrüßte uns. Mit freundlichem Lächeln schüttelte er uns die Hände, und er und Bruder Ivan verneigten sich herzlich voreinander. ›Er sagt, er fühlt sich geehrt, uns am Tag ihres Heiligen in seiner Gemeinde zu haben‹, übersetzte Ranov etwas trocken.
    ›Sagen Sie ihm, dass die Ehre ganz auf unserer Seite ist, hier sein zu dürfen. Und würden Sie ihn bitte fragen, wer Sveti Petko war?‹
    Der Priester erklärte, dass er ein Märtyrer aus der Gegend gewesen sei, den die Türken während ihrer Besetzungszeit umgebracht hätten, weil er seinen Glauben nicht aufgeben wollte. Sveti Petko sei der Priester einer früheren Kirche hier gewesen, die von den Türken niedergebrannt worden sei, aber selbst da noch habe er sich widersetzt, den moslemischen Glauben anzunehmen. Die jetzige Kirche sei später auf dem Platz des zerstörten Gotteshauses errichtet worden, und Petkos Reliquien lägen in der alten Krypta. Heute würden viele Menschen kommen, um an diesem Ort niederzuknien. Sveti Petkos Ikone und zwei andere von großer Kraft würden in einer Prozession um die Kirche und durch das Feuer getragen werden. Das dort an der Stirnseite der Kirche – der Priester deutete auf ein verblichenes Fresko hinter sich, auf dem ein bärtiges Gesicht zu erkennen war, das seinem eigenen durchaus ähnelte –, das sei Sveti Petko. Wir sollten zurückkommen und die Kirche genauer besichtigen, wenn die Festvorbereitungen beendet seien. Er lade uns ein, die gesamte Zeremonie zu verfolgen und den Segen Sveti Petkos zu empfangen. Wir würden nicht die ersten Pilger aus fremden Ländern sein, die zu ihm kämen, um von Krankheit oder Schmerz geheilt zu werden. Der Priester lächelte uns süßlich zu.
    Ich fragte ihn, und Ranov übersetzte, ob er je von einem

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