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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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seltsamen Träumen auf. Einmal sah ich Licht unter der Tür zum Bad, das zwischen meinem und dem Zimmer meines Vaters lag. Das beruhigte mich. Dann wieder jedoch ließ mich das Gefühl, dass er nebenan nicht schlief, sondern irgendeiner Sache nachging, aus dem Schlaf hochschrecken. Kurz vor Tagesanbruch, als durch die groben Vorhänge schieferfarbener Dunst sichtbar wurde, erwachte ich endgültig.
    Dieses Mal hatte mich die Stille geweckt. Alles war zu still: die undeutlichen Silhouetten der Bäume im Hof (ich schob den Vorhang etwas zur Seite), der klobige Schrank neben meinem Bett, aber vor allem das Zimmer meines Vaters nebenan. Es war nicht so, dass ich erwartet hätte, ihn um diese Zeit schon herumlaufen zu hören. Er schlief sicherlich noch – vielleicht schnarchte er auch leise, falls er auf dem Rücken lag – und versuchte, sich von den Anstrengungen des Vortags zu erholen und den mörderischen Zeitplan mit den Vorträgen, Seminaren und Debatten, die vor ihm lagen, etwas hinauszuschieben. Auf unseren Reisen klopfte er für gewöhnlich morgens, nachdem ich bereits aufgestanden war, freundlich an meine Tür und lud mich ein, mit ihm vor dem Frühstück schon einen kleinen Spaziergang zu machen.
    An diesem Morgen bedrückte mich die Stille ohne wirklichen Grund. Ich kletterte aus meinem großen Bett, zog mir etwas über und nahm mir ein Handtuch. Ich würde mich waschen und dabei ein wenig dem nächtlichen Atem meines Vaters lauschen. Leise klopfte ich an die Badezimmertür, um mich zu vergewissern, dass er nicht darin war. Die Stille schien noch tiefer, als ich schließlich vor dem Spiegel stand und mein Gesicht abtrocknete. Ich legte mein Ohr an seine Tür. Zweifellos schlief er tief und fest. Ich wusste, es wäre herzlos, ihn aus seiner wohlverdienten Ruhe zu reißen, aber ein Gefühl der Panik kroch mir Arme und Beine hoch. Ich klopfte leise. Nichts regte sich. Über Jahre hatten wir einander unsere Privatsphäre gewährt, aber jetzt, in dem grauen Morgenlicht, das durch das Badezimmerfenster fiel, drückte ich auf die Türklinke.
    Die schweren Vorhänge im Zimmer meines Vaters waren noch zugezogen, so dass ich eine Weile brauchte, um die schwachen Umrisse von Möbeln und Bildern zu erkennen. Die Stille zog mir kalt den Rücken herauf. Ich machte einen Schritt auf das Bett zu und sprach ihn an. Dann aber sah ich das Bett ordentlich und weich im Dunkel des Raums vor mir. Das Zimmer war leer. Ich stieß die Luft aus, die ich angehalten hatte. Er war schon hinausgegangen, machte wahrscheinlich einen Spaziergang und nutzte die Zeit zum Nachdenken. Doch dann ließ mich etwas das Licht beim Bett einschalten, um mich etwas gründlicher umzusehen. Im hellen Lichtkreis der Lampe lag eine Notiz, die an mich adressiert war, und auf der Notiz lagen zwei Dinge, die mich überraschten: ein kleines silbernes Kruzifix mit einer kräftigen Kette und eine frische Knoblauchknolle. Die unverblümte Wirklichkeit von beidem drehte mir den Magen um, noch bevor ich die Worte meines Vaters las.
     
    Meine liebe Tochter,
    es tut mir schrecklich Leid, dass ich dich so überrasche, aber ich musste unerwartet in einer beruflichen Angelegenheit weg und wollte dich während der Nacht nicht stören. Ich hoffe, es dauert nur ein paar Tage. Ich habe mit Rektor James vereinbart, dass dich dein junger Freund Stephen Barley sicher nach Hause begleiten wird. Er ist für zwei Tage beurlaubt und wird dich am Abend nach Amsterdam bringen. Ich wollte, dass Mrs Clay dich holte, aber ihrer Schwester geht es wieder schlecht, und sie musste nach Liverpool. Sie versucht jedoch, ebenfalls heute Abend wieder nach Hause zu kommen. Für dich wird auf jeden Fall gesorgt sein, und ich vertraue dir, dass du vernünftig auf dich aufpasst. Mach dir keine Sorgen, weil ich weg musste. Es geht um eine vertrauliche Sache, aber ich komme so bald es geht nach Hause und erkläre dir alles. Bis dahin bitte ich dich aus tiefstem Herzen, das Kruzifix zu tragen und nicht abzulegen, und stecke dir etwas von dem Knoblauch in jede Tasche. Du weißt, dass ich dich nie mit Religion oder Aberglauben bedrängt habe, an die ich beide nicht glaube. Dennoch müssen wir mit dem Bösen auf seine Art umgehen, soweit es möglich ist, und du weißt bereits, was das alles betrifft. Ich bitte dich mit dem Herzen eines Vaters, meine Wünsche in diesem Punkt nicht zu übergehen.
     
    Die Zeilen waren mit liebevoller Zuneigung unterzeichnet, aber ich konnte sehen, dass er sie in Hast

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