Der Hobbit
trugen, den Weg hinunter, an der großen Mühle vorbei, über die Wässer und dann noch eine Meile oder ein bisschen weiter.
Er war ganz außer Atem, als er Punkt elf in Wasserau ankam und feststellen musste, dass er nicht mal ein Taschentuch mitgenommen hatte!
»Bravo!«, sagte Balin, der an der Gasthaustür nach ihm ausschaute.
Eben da kamen die andern um die Ecke der Straße vom Dorf her. Sie saßen auf Ponys, und jedes Pony war außerdem noch mit jederlei Bündeln, Beuteln, Paketen, Werkzeugen und anderen Habseligkeiten behangen. Sie führten ein sehr kleines Pony mit, offenbar für Bilbo.
»Aufgesessen, ihr beiden, und los geht’s!«, sagte Thorin.
»Es tut mir furchtbar leid«, sagte Bilbo, »aber ich bin ohne Hut gekommen, ich habe mein Taschentuch vergessen, und Geld habe ich auch nicht bei mir. Ich bekam den Brief erst um zehn Uhr fünfundvierzig, um es genau zu nehmen.«
»So genau nehmen wir’s nicht«, sagte Dwalin, »bis zum Ende unserer Reise wird es ohne Taschentücher gehn müssen, und ohne einiges andere auch. Aber mit einer Kopfbedeckung kann ich aushelfen, denn ich habe noch einen Mantel und eine Kapuze im Gepäck.«
Und so brachen sie auf, eines schönen Vormittags Ende April, vom Gasthaus zum Grünen Drachen, mit schwer beladenen Ponys; und Bilbo trug eine dunkelgrüne (vom Wetter schon etwas mitgenommene) Kapuze und einen dunkelgrünen Mantel, die ihm Dwalin geliehen hatte. Die Sachen waren ihm zu groß, und er sah darin ziemlich komisch aus. Was sein Vater Bungo wohl dazu gesagt hätte, ist nicht auszudenken. Sein einziger Trost war, dass man ihn nicht für einen Zwerg halten konnte, weil er keinen Bart hatte.
Sie waren noch nicht sehr lange geritten, als Gandalf sie auf einem prächtigen weißen Pferd einholte. Er brachte einen reichlichen Vorrat Taschentücher mit, außerdem Bilbos Pfeife und seinen Tabak. Von da an waren sie alle bester Laune, erzählten sich Geschichten oder sangen Lieder, ritten den ganzen Tag lang, außer natürlich, wenn siezu den Mahlzeiten haltmachten. Diese freilich gab es nicht so oft, wie Bilbo es sich gewünscht hätte, aber trotzdem fand er allmählich das abenteuerliche Leben gar nicht mehr so schlimm.
Zuerst waren sie durch die Gebiete der Hobbits geritten, ein großes ordentliches Land mit achtbaren Bewohnern, guten Straßen und einem Gasthaus hier und da, und manchmal kam ein Bauer auf dem Weg zum Markt oder ein Zwerg auf Wanderschaft vorüber. Dann kamen sie in Gegenden, wo die Leute fremdartig sprachen und Lieder sangen, die Bilbo noch nie gehört hatte. Und nun waren sie schon weit in den Leeren Landen, wo niemand mehr wohnte, wo es keine Gasthäuser gab und die Straßen immer schlechter wurden. Noch ein Stück weiter, und sie kamen zu finsteren Hügeln, die immer höher anstiegen, mit dunklen Wäldern bewachsen. Auf manchen standen alte Schlösser von üblem Aussehen, die von bösen Herren erbaut sein mussten. Alles schien sich verdüstert zu haben, denn auch das Wetter war an diesem Tag umgeschlagen. Meistens war es bisher so schön gewesen, wie es im Mai selbst in einer heiteren Geschichte schöner nicht sein kann, aber nun war es kalt und regnete. Auch in den Leeren Landen hatten sie ihr Lager unter freiem Himmel aufschlagen müssen, aber wenigstens war es da noch trocken gewesen.
»Und dabei wird es doch bald Juni!«, brummte Bilbo, als er hinter den anderen her durch den Schlamm platschte. Die Teestunde war vorüber, den ganzen Tag schon goss es in Strömen, aus seiner Kapuze tropfte es ihm in die Augen, sein Mantel war durchgeweicht, und sein Pony stolperte über Steine; die anderen waren unansprechbar verdrossen. »Sicher ist der Regen auch schon in die Säcke mit den trockenen Kleidern und dem Proviant eingedrungen«, dachte Bilbo. »Spuck doch auf die Meisterdieberei und alles, was damit zu tun hat! Ich wollte, ich säße in meiner warmen Höhle am Herd und der Teekessel finge zu pfeifen an!« Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass er sich das wünschte.
Immer weiter ging es im gleichen Trott, und keiner von den Zwergen blickte sich einmal um oder achtete auf den Hobbit. Irgendwo hinter dem grauen Gewölk musste die Sonne untergegangen sein, denn es wurde dunkel, als sie in ein tiefes Tal hinabstiegen, auf dessen Grund sie einen Fluss überschreiten mussten. Wind kam auf, und die Weiden an den Ufern bogen sich und stöhnten. Zum Glück führte die Straße über eine alte steinerne Brücke, denn der Fluss war vom Regen angeschwollen
Weitere Kostenlose Bücher