Der Hobbknick (German Edition)
aber da immer noch der Ohrring in seinem Läppchen baumelte, war seine Rede nicht zu vernehmen. Hektisch wies er mit seiner kleinen Hand auf das dengelnde Kleinod und seinen Mund. Der Kerkermeister zog die Augenbrauen hoch.
»Ja sag bloß, kleines Kerlchen, du hast da einen magischen Ohrring, der unhörbar macht? Meiner Treu! Ist es womöglich der Eine? Oder?…« Der Meister patschte sich erschreckt an die Stirn. »Wie komm´ ich denn auf so einen Unfug? Du Ärmster! Jetzt weiß ich!… Da bist du schon so klein und hässlich – und obendrein auch noch stumm! Stimmbänder gebrochen, richtig? Das tut mir aber jetzt ehrlich leid! Hier! Möchtest du mit meinem Schlüsselbund spielen, für eine kleine Weile, zur Aufmunterung? Ja? Horch doch mal, wie schön der klimpert!«
Und der Kerkermeister ließ tatsächlich seinen Schlüsselbund vor des Döskopps Gesicht hin- und herklackern. »Ja fein, fein, wie das klimpert, was? Gulligulli!«
Gulligulli? Bilbord war empört. In Hobbknickkirchen, im Flauen Land, da galt er als ein allseits angesehener Edelhobbknick! (Das dachte er zumindest.) Und dieser Kerkermeister behandelte ihn wie ein Döskoppkind! So riss sich Bilbord den Ohrring vom Läppchen und schimpfte: »Ihr habt da eine rechte Säufernase mitten im Gesicht, oh Kerkermeister der Albernen!«
Der schaute urplötzlich verbiestert drein. »So also. Frechsein! Na, dann kriegst du eben nicht den schönen Schlüsselbund, Kleiner! Den Schlüsselbund, mit dem man alle Kerkertüren öffnen kann! So geh´ woanders spielen!«
Und der Albernen-Kerkermeister trampelte fort, um hernach nie wieder in seinem Leben mit dem Hobbknick zu sprechen, und bog um eine nahe gelegene Gangbiegung. Bilbord stapfte zornig in die entgegengesetzte Gangrichtung.
»Der Schlüsselbund!«, murmelte er. »Mit dem Schlüsselbund spielen! Gulligulli. Kaum zu glauben!« Und nach einer kurzen Weile brummelte er: »Der Schlüsselbund. Mit dem man alle Kerkertüren öffnen kann. Gulli…« Nun stoppte er sein Stapfen. Der Schlüsselbund! Wieso musste er jetzt immer an ihn denken? Hätte er mit dem Ding nicht irgendetwas anfangen können? Lange grübelte er.
»Seltsam, das mit der Schnapsnase«, dachte er dann vergnügt, als er merkte, dass sein Grübeln ergebnislos blieb. »Das passt überhaupt nicht zum Bild der Albernen, wie die Heldensagen es zeichnen.«
In der Zwischenzeit aber, so kurz sie gewesen sein mochte, hatte der Kerkermeister sich mit seinem alten Kumpel dem Kellermeister getroffen, der ihn ohne Umschweife, wie es die Art dieser beiden Freunde war, in ein ornamentloses Kellerkämmerchen zu einem Schluck Rotwein einlud.
»Oh, ein wahrhaft schwerer Tropfen!«, seufzte begeistert der Kerkermeister, nachdem er gekostet hatte.
»Selbstverständlich«, sagte der Kellermeister. »Das ist echter Doovidon aus Dovidonion! «
»Hae?«, fragte der Kerkermeister. »Ist das nicht dein Name?«
»Was?«, fragte der Kellermeister.
»Ja – Doovidon aus Dovidonion !«
»Wo denkst du hin! Ich bin Galone. Und stamme nicht aus Dovidonion. Nein, es ist der Name des Weins. Und wir trinken ihn jeden Abend!«
»Aah ja«, sagte der Kerkermeister. Das hatte er jahrhundertelang verwechselt! Was man als erstaunliche Leistung preisen mag. Doch schnell schüttelten die zwei jede Irritation ab und zechten inbrünstig weiter – und wurden dadurch zusehends alberner wie auch tragikomischer. Das ist ja das Dumme an der Zecherei! Doch niemand scheint daraus zu lernen.
»Wie… findet du eigentlich die Geschichte von Ludien und Beeren?«, fragte irgendwann einer den anderen.
Der andere winkte ab. »Nee, ist mir echt zu kitschig!«
»Y-au, mir auch«, sagte der eine schnell, obwohl das gar nicht stimmte: er fand sie zum Weinen schön, aber das wollte er jetzt nicht mehr zugeben. »Und wie findest du sonst so die Annalen?«, fragte er dann.
»Ach noe. Nicht so mein Ding. Zu dick, die Schwarte.«
»Ich hab´ die Kurzversion.«
»Ah, dann. Geht´s vielleicht.«
Daraufhin dachten beide über etwas nach, worüber sie nicht sprachen, und dann fragte einer: »Denkst du auch manchmal, dass man eigentlich das machen müsste, was man schon immer machen wollte, es aber schon seit frühesten Tagen hat sein lassen, weil man Angst hatte, dass man hinterher denken könnte, es wäre zwar eine gute Idee gewesen, es mal versucht zu haben, aber dass genau das dabei herausgekommen wäre, was man schon im Vorfeld gefürchtet hatte, dass es dabei herauskommen würde – weswegen man
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