Der Hochzeitsvertrag
Erschöpft vom Weinen, von Kopfschmerzen und vom Hunger geplagt, hatte sie befürchtet, dass die ärztliche Diagnose richtig war. Doch am Morgen ging es Emily – abgesehen von den Nachwirkungen des Laudanums – so gut, dass ihr die Vorstellung, krank zu sein, absurd erschien.
"Nicholas, wach endlich auf", versuchte sie es erneut. "So tief kannst du in diesem unbequemen Sessel doch gar nicht schlafen!"
Mit einem Mal richtete er sich kerzengerade auf, fuhr über die Stirn und sah Emily verwirrt an. "Warum bist du nicht im Bett?"
Bevor sie etwas sagen konnte, nahm er sie auf die Arme und brachte sie trotz ihrer Proteste ins Bett zurück. Fürsorglich zog er ihr die Decken bis zum Kinn hoch und griff nach der Tasse auf dem Nachttisch.
Als er ihr die Tasse an die Lippen hielt, war Emily gezwungen, entweder zu schlucken oder zu ersticken. Sie entschied sich für Ersteres.
Kaum hatte Nicholas die Tasse abgesetzt, rief er nach Dr. Evans.
"Nicholas?" So beglückend es war, dass er sich wegen ihr so besorgt zeigte, war Emily doch beunruhigt, dass er sie offenbar überhaupt nicht wahrnahm. Sie richtete sich auf. "Schau mich doch mal an, Nicholas! Es geht mir gut."
Aber er war schon verschwunden und eilte die Treppe nach unten. Sie hörte, wie seine Stiefelabsätze über die Steinstufen klapperten.
Emily fiel leicht entnervt in ihre Kissen zurück und drehte an dem filigranen Goldring, der an ihrem rechten Ringfinger steckte. Bald würde Nicholas mit dem Arzt zurückkommen, und dann würden die beiden Herren sich davon überzeugen können, dass sie sich nicht länger Sorgen um sie zu machen brauchten.
Sie hoffte nur, dass die beiden auch etwas zu essen mitbringen würden. Sie war schrecklich hungrig.
"Machen Sie schon, Dr. Evans! Ich kann meine Frau nicht so lange allein lassen!"
"Beruhigen Sie sich, Mylord", empfahl der Schiffsarzt. "In diesem Zustand regen Sie die Patientin nur auf. Sie sagten, dass Ihre Frau allein aufgestanden ist?"
"Sie hat sich über mich gebeugt und mich wach gerüttelt", erklärte Nicholas, während er Dr. Evans beim Ellenbogen nahm und nach oben drängte. "Ich habe sie wieder ins Bett gebracht und ihr zu trinken gegeben. Aber dann …"
Der Doktor hielt auf dem Treppenabsatz inne. "Würden Sie mir bitte einen Augenblick zuhören, Sir?" Er legte Nicholas die Hand auf die Schulter. "Wie ich Ihnen schon heute Morgen gesagt habe, Lord Kendale, glaube ich nicht mehr, dass Ihre Frau Cholera hat."
Nicholas schüttelte den Kopf. "Aber sicher sind Sie sich nicht, oder? Sie haben doch gesehen, wie schlecht es ihr gestern Abend ging!"
"Richtig. Zu diesem Zeitpunkt hielt ich es für möglich, dass sie erkrankt ist. Aber sie hat die Nacht über keines der üblichen Symptome gezeigt. Sie haben doch selbst gesehen, wie fest sie schlief! Keine Magenschmerzen. Kein Durchfall. Kein Erbrechen. Und das leichte Fieber ist fast augenblicklich verschwunden, nachdem ich ihr Laudanum verabreicht hatte. Um die Wahrheit zu sagen, ich glaube, dass sie lediglich einen kleinen Zusammenbruch hatte und erschöpft vom Weinen war." Schmunzelnd fügte er hinzu: "Weinen Frauen nicht immer über irgendetwas?"
Nicholas überlegte kurz. Als sie sich nach dem Hochzeitsfrühstück erhoben hatte, hatte Emily tatsächlich etwas aufgewühlt gewirkt. Wortlos ließ er den Doktor stehen und stürmte nach oben in die Gemächer seiner Frau, immer drei Stufen auf einmal nehmend.
Emily saß aufrecht im Bett, ihre Wangen waren rosig und ihre Augen blickten klar, als er das Schlafzimmer betrat.
In entrüstetem Tonfall fragte er sie: "Bist du jetzt krank oder nicht?"
"Ich glaube nicht", erwiderte sie so ruhig wie möglich. "Das habe ich dir vorhin schon gesagt. Es geht mir wunderbar, allerdings bin ich sehr hungrig. Wie du dich vielleicht entsinnen kannst, habe ich seit gestern Morgen …"
"Weiß du eigentlich, wie besorgt ich … wie besorgt wir gewesen sind? Wir haben die ganze Nacht an deinem Bett verbracht! Herrgott im Himmel!" fuhr er sie erregt an.
"Oh, Nicholas, ich bedauere, dass du angenommen hast …"
"Du …" Er fuchtelte mit dem Zeigefinger drohend vor ihrem Gesicht in der Luft. "Du …" Er hielt inne. Was sollte er sagen? Er konnte ihr ja kaum deswegen Vorwürfe machen, weil sie doch nicht krank war. Erbost drehte er sich um und verließ rasch das Zimmer. Erleichterung mischte sich mit Schamgefühlen. Er bebte am ganzen Körper. Was er fühlte, konnte er sich selbst kaum eingestehen.
Unglücklicherweise passte ihn
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