Der Hochzeitsvertrag
unangenehm kühl, als ob der Morgennebel durch die Mauerritzen kriechen würde. Emily kuschelte sich noch einmal genüsslich in ihre Daunendecke und wünschte sich, sie müsste ihr warmes Bett nicht verlassen.
Schließlich schwang sie sich aus dem hohen Himmelbett und tappte mit bloßen Füßen zum Waschtisch im Ankleidezimmer. Während sie sich rasch frisch machte, musste sie an den vergangenen Abend denken. Unwillkürlich lächelte sie. Nicholas war während des Festes so charmant und fröhlich wie früher gewesen, nicht so distanziert wie nach seiner Rückkehr.
Und er hatte ihr erlaubt, nach London mitzukommen, obwohl es ihm lieber gewesen wäre, sie wäre in Bournesea Manor geblieben. Damit allein konnte sie schon zufrieden sein.
Es war nur zu verständlich, dass er sich nicht darauf freute, der feinen Gesellschaft seine frisch angetraute Frau, die Tochter eines unbekannten Landpfarrers, präsentieren zu müssen. Schließlich war auch sie nicht sehr erpicht darauf, jedermann vorgestellt zu werden.
Auch wenn Nicholas ihr ihre niedrige Herkunft nie zum Vorwurf gemacht hatte, wusste Emily, was auf sie zukam. In lebhaften Farben konnte sie sich ausmalen, was ihr in London bevorstand. Dennoch war sie fest davon überzeugt, dass es das Beste sein würde, von Anfang an den Herausforderungen gemeinsam und erhobenen Hauptes entgegenzutreten. Je eher allgemein akzeptiert wurde, dass sie Nicholas' rechtmäßig angetraute Gattin war, umso besser.
Da unter den Roben der verstorbenen Lady Kendale kein Gewand zu finden gewesen war, das Emily auf der Fahrt nach London hätte tragen können, entschied sie sich für ein warmes dunkelblaues Reisekostüm, das ihr mit ihren übrigen Besitztümern gestern aus dem Pfarrhaus gebracht worden war.
Zwar würde sie in London damit keinen glamourösen ersten Eindruck hinterlassen, aber außer den Dienstboten im Stadthaus der Kendales würde sie ja niemand zu Gesicht bekommen.
Sie warf sich eilig den Umhang über und band die Capote zu. Im Gehen griff sie zu den Handschuhen und ihrer Handtasche. Bevor sie das Zimmer verließ, drehte sie sich nochmals um. "Ich wünschte, Sie würden mich begleiten, Mylady", gestand sie leise.
Dann tadelte sie sich wegen ihrer törichten Wünsche. Jetzt bin ich die Dame des Hauses. Ich werde Mylady genannt. Das darf ich nie vergessen.
Als sie durch die Eingangstür nach draußen trat, grüßte sie Nicholas von der Auffahrt her mit einem knappen "Guten Morgen", während er zusah, wie ihre Gepäckstücke auf dem Dach des Wagens verstaut wurden.
Emily nickte Wrecker zu, der damit beschäftigt war, das Gepäck festzuzurren, und ging auf Nicholas zu. Der junge Sam Herring, der sie fahren würde, saß bereits auf dem Kutschbock und versuchte, das tänzelnde Gespann ruhig zu halten. Ein weiterer Mann erschien mit einem gesattelten Pferd.
"Du willst reiten?" erkundigte sich Emily verwundert.
Der Earl of Kendale sah zu der Fuchsstute hinüber. "Sie wird hinten am Wagen angebunden. Wrecker und ich werden die Kutsche abwechselnd eskortieren."
Emily musste ihn nicht fragen, warum. Zwar waren Überfälle auf offener Straße recht selten. Trotzdem konnte es nicht schaden, vorsichtig zu sein.
Die Zugpferde ließen gelangweilt die Köpfe hängen. Auch sie schienen sich nicht darauf zu freuen, an einem trüben, nebeligen Tag wie diesem ihre Pflicht tun zu müssen. Obwohl ihr Stolz es ihr verbot, das zuzugeben, fühlte sich Emily ähnlich wie die armen Tiere.
Nicholas öffnete die Tür des Wagens, half ihr in die Kutsche und stieg dann hinter ihr ein. "Du bist dir ganz sicher, dass du mitkommen willst?"
Sie lächelte selbstbewusst, während sie ihre Röcke glatt strich und ihr besticktes Handtäschchen auf ihrem Schoß platzierte. "Ganz sicher! Ich freu mich schon sehr auf London."
Die Kutsche ruckelte, und die Federung quietschte.
"Wir sind fertig, Mylord", schallte es von draußen.
"Dann brechen wir auf. Los!" Nicholas hob seinen Spazierstock und pochte mit dem silbernen Knauf gegen das Dach, um Sam Herring zu signalisieren, dass er fahren sollte.
Unsicher hielt Emily sich an den Sitzbanklehnen fest, während das Gefährt über die kiesbestreute Einfahrt zum weit offen stehenden Eingangstor holperte. "Ich bin noch nie mit so einer Chaise gefahren", meinte sie entschuldigend. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals eine solche Kutsche bestiegen zu haben.
"Dieses Gefährt sieht prächtig aus", bemerkte sie. Die Sitze waren gut gepolstert und mit Brokat
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