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Der Höllenbote (German Edition)

Der Höllenbote (German Edition)

Titel: Der Höllenbote (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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über und über mit Staub bedeckten Carlton klar. Wenn die Feuerwehr das hier sieht, macht sie uns sofort den Laden dicht, bis wir alles weggeschafft haben. Der Müll bestand hauptsächlich aus alten Kartons voller Akten, antiquierten Sortiergeräten und Ersatzteilen, alten Postuniformen und nicht mehr verwendetem Verpackungsmaterial. Wenn er diese ganzen Kartons nach draußen schleppte, konnte er bestimmt eine Pyramide daraus bauen, die so hoch war wie das Postamt selbst.
    Da bin ich der Vizechef in diesem Laden und was mache ich? Schleppe Müll aus dem Keller! Carlton bezweifelte, dass dieser Aufgabenbereich in seiner Stellenbeschreibung auftauchte.
    Aber er nahm es sportlich und lachte darüber, auch als ihm die Spinnweben im Gesicht klebten. Es war eine stumpfsinnige Arbeit: hineinkriechen, einen Karton schnappen, ihn herausziehen, dann wieder reinkriechen und den nächsten holen. Damit dürfte er für den Rest des Tages beschäftigt sein, aber zumindest konnte er sich auf den Feierabend freuen. Er hatte sich vorgenommen, einen Abstecher in die Bar zu machen – bedeckt mit Staub und Spinnweben –, um den ersten Tag seiner Beförderung zu feiern.
    Carlton störte es nicht, dass man Jane die Filialleitung übertragen hatte und nicht ihm, obwohl er schon länger im Dienst war als sie. Er fühlte sich sowieso eher als Mann fürs Grobe, hatte einen guten Draht zu den Angestellten, während Jane besser mit dem Papierkrieg und den Verwaltungsaufgaben zurechtkam. Ehrlich gesagt freute er sich für sie, und er freute sich auch darüber, dass die Stadt dieses zweite Postamt eröffnet hatte, denn es bewies, dass Danelleton im Aufschwung war. Mehr Einwohner bedeuteten mehr Häuser und somit auch mehr Post, als die Hauptfiliale bewältigen konnte. Tatsächlich hatten sowohl Carlton als auch Jane ihre berufliche Laufbahn dort am Marktplatz von Danelleton begonnen, und es rankten sich nicht gerade erfreuliche Erinnerungen um das Gebäude. Oh Gott, dachte er, als ein Bild aus seiner Vergangenheit an seinem geistigen Auge vorbeizog. Er hielt inne, von einem jähen Anflug von Verzweiflung überwältigt.
    Er holte tief Luft, wartete einige Momente, dann griff er nach dem nächsten Karton und zerrte ihn ins Freie.
    Im Hauptpostamt hatte sein Leben als Familienvater beginnen sollen, aber tatsächlich hatte es dort geendet.
    Denk nicht darüber nach, warnte er sich. Es ist vorbei. Du hast ein neues Leben, auf das du dich konzentrieren solltest. Die Vergangenheit ist Geschichte, im Guten wie im Schlechten.
    In der letzten Zeit, in den letzten Jahren, musste er nur noch selten daran denken. Er war darüber hinweggekommen, mithilfe von Zeit, Vernunft und einem guten Therapeuten.
    Schluss mit dem Mist! Hol die nächste Kiste und erledige deinen Job!
    So ganz konnte er es vermutlich nie abschütteln. Wie auch? Wie konnte ein Mensch so etwas vergessen? Und was er gar nicht verstand, als er einen weiteren Karton mit alten Akten aus dem Kabuff zog, war: Warum musste er gerade jetzt daran denken? Und warum ausgerechnet hier? Vor seiner Beförderung hatte er sich nie in diesem Gebäude aufgehalten. Die Filiale Danelleton West war vor 20 Jahren aufgegeben und geschlossen worden. Seitdem hatte man sämtliche Post über das Hauptpostamt in der Stadt geschleust. Die gerade erst wiedereröffnete Filiale besaß keinerlei persönliche Bedeutung für Carlton.
    Er schüttelte den Kopf in dieser muffigen, vom Licht der Taschenlampe nur unvollkommen zurückgedrängten Dunkelheit.
    Warum brachte ausgerechnet dieses Gebäude die schlimmsten Erinnerungen seines Lebens wieder zum Vorschein?
    Gewaltsam versuchte er, seinen Geist davor zu verschließen, und zerrte grunzend eine weitere Kiste aus der Kammer. Sein Kragen färbte sich dunkel vom Schweiß. Sein Herz schlug schneller.
    Erst Mariel, überlegte er. Dann Belinda.
    Es war alles so schnell gegangen, sodass es ihm auch heute noch manchmal wie ein schlechter Traum vorkam. Nach acht wundervollen Ehejahren und ohne jede Vorwarnung hatte Mariel den Verstand verloren. Komplett. Laienhaft ausgedrückt war sie schlicht und einfach durchgedreht. Die Psychiater sagten, sie hätte einen systematischen psychotischen Zusammenbruch erlitten, zusammen mit paranoiden Vorstellungen und Amin-induziertem Wahn sowie Anzeichen von etwas, das sich Capgras-Syndrom nannte. Mit anderen Worten: Carltons Frau hatte angefangen zu glauben, dass nichts und niemand um sie herum echt war. Zum Beispiel hatte sie sich eingeredet, dass

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