Der Höllenbote
übrig, als mich allein auf den Weg zu machen. Ich schnappte meine leichte, helle Lederjacke und streifte sie über. Wir hatten bereits seit Tagen herrliches Wetter. Es war zwar kühl, und nachts sanken die Temperaturen auch sehr stark, den Tag über jedoch schien die Sonne von einem fast blauen Himmel. Ich verabschiedete mich von Suko und versprach, ihm sofort nach meiner Rückkehr Bericht zu erstatten.
»Lange wird es ja nicht dauern«, sagte ich.
»Das glaube ich auch.«
Unten trennten wir uns. Suko war mit seiner Harley gekommen, ich lenkte meine Schritte auf den Parkplatz zu, wo mein silbergrauer Bentley stand.
Sehr weit hatte ich nicht zu fahren. Das ehemalige Kino lag in der Nähe von Westminster Cathedral, dieser Kirche, die auch in den sechziger Jahren in einem Lied besungen worden ist. Carlisle Place, hieß die Adresse.
Es war nicht einfach, dorthin zu gelangen. Der Nachmittagsverkehr war so dicht, daß man das Gefühl haben konnte, alle Bewohner der Millionenstadt hätten ihre Wagen geholt, um eine Tour durch London zu machen.
Ich dachte schon mit Schrecken daran, einen Parkplatz zu finden und entdeckte ihn schließlich einige Yards weiter im Schatten der großen Kirche, wo auch Busse mit Touristen standen.
Zu Fuß ging ich meinem Ziel entgegen.
Die goldenen Sonnenstrahlen tupften auf die Dächer der Häuser und fielen auch in langen Streifen in die Straßenschluchten. Irgendwie machte der Frühling die Menschen fröhlicher. Ich sah es an der Kleidung, die vor allen Dingen von den Frauen zur Schau getragen wurde.
Viele Knie-und Pumphosen, duftige, weit geschnittene Blusen, leichte Pullover und Gesichter, die strahlten, wenn sie von den wärmenden Strahlen der Frühjahrssonne berührt wurden.
Carlisle Place war eine gute Adresse. Ein London, wie man es aus den Prospekten kennt. Zahlreiche Filialen von Reisebüros lagen in dieser Straße. Es gab Geschäfte und auch Wohnhäuser aus victorianischer Zeit.
Das Kino entdeckte ich ebenfalls.
Man hatte den Eingang so gelassen. Darüber allerdings, wo früher die Filmplakate lockten, stand mit großen Buchstaben das Wort MUSEUM geschrieben.
Hier war ich richtig.
Hinter der Glasscheibe der Eingangstür hockte der Kartenverkäufer auf einem Stuhl. Neben ihm stand ein kleiner Tisch. Dort waren eine graue Kassette und eine Rolle Karten zu sehen.
Der Mann schaute überrascht hoch, als ich die Tür aufdrückte. »Guten Abend, Sir«, grüßte er. Ich winkte zurück.
»Sie wollen sich die Ausstellung anschauen?«
»Sicher, sonst wäre ich nicht gekommen.«
»Entschuldigen Sie, Sir, aber dann sind Sie heute abend der einzige Besucher.«
Ich grinste schief. »Ist ja ein toller Andrang.«
»Das kann man wohl sagen.« Er riß eine Karte ab, und ich zahlte den Preis. »Dabei ist die Ausstellung wirklich interessant für den, der sich für alte chinesische Kultur interessiert. Die Frau hat sich Mühe gegeben. Die meisten Dinge sind nur leihweise hier. Ich bin sowieso überrascht, wie sie es geschafft hat, die Stücke den Chinesen abzuschwatzen.«
»Ja, das ist wirklich außergewöhnlich«, gab ich ihm recht. »Und wie steht es mit dem Bild?«
»Dafür interessieren Sie sich?«
»Genau.«
Der Mann stand auf und deutete auf die zweite der beiden Türen. »Wenn Sie sich das Bild ansehen wollen, dann gehen Sie am besten durch diese Tür. Es hängt von den anderen Sachen getrennt. Sie können allerdings auch von dem Raum in den großen Ausstellungssaal hineingehen. Da gibt es einen Durchgang.«
»Ich danke Ihnen.«
»O bitte, bin ja froh, daß mal einer kommt. Wenn ich Ihnen etwas erklären soll, sagen Sie nur Bescheid. Das mache ich gern. Ist besser, als hier herumzusitzen.«
»Mal sehen, vielleicht komme ich auf ihren Vorschlag zurück.« Ich nickte dem Mann noch einmal zu und machte mich auf den Weg. Die Tür war dunkelrot angestrichen. Ich drückte sie auf und schaute in einen Raum, der etwa dreimal so groß war wie mein Büro. Rechts befand sich der Durchgang zu dem anderen Ausstellungsraum. Er interessierte mich nicht. Ich sah nur das Bild auf der linken Seite und mußte zugeben, daß es mich beim ersten Anblick schon beeindruckte.
Es war sehr groß. Fast reichte es vom Boden bis zur Decke, und es zeigte nur eine Figur.
Den Höllenboten.
Yuisan sah wirklich schaurig aus. Man durfte dieses Bild keinem ängstlichen Menschen zeigen.
Schon als ich näher ging saugte ich seine Wirkung in mich auf. Beherrscht wurde das Gemälde nur von einer Figur, dem
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